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„Für eine vertrauenswürdige KI benötigen wir diverse Teams.“

IT-Expertinnen Christina Cociancig und Beeke Thom von Just Add AI

IT und „künstliche Intelligenz“ sind bisher männlich dominiert. Wie setzen sich Frauen dort durch? Und welche Unternehmenskultur ist für mehr Gendergerechtigkeit nötig? Im Gespräch mit den beiden KI-Expertinnen Christina Cociancig und Beeke Thom der Bremer Firmengruppe JUST ADD AI.

Nur rund 19 Prozent aller IT-Fachkräfte sind weiblich. In der Branche herrscht also ein starkes Missverhältnis. Viele Initiativen arbeiten daran, die IT-Wirtschaft für Frauen attraktiver zu gestalten – in Bremen etwa die Plattform AVANJA und das Netzwerk F.IT Frauen in IT wie auch der Verein Women in AI & Robotics.

Helfen diese Ansätze? Wie muss eine Unternehmenskultur aufgestellt sein, die Frauen in IT-Feldern fördert? Und wie kommt man überhaupt in die KI-Branche? Im Gespräch mit Christina Cociancig, KI-Consultant und Datenschutzbeauftragte, sowie Beeke Thom, technische Projektmanagerin beim Bremer KI-Spezialisten JUST ADD AI (JAAI).

Frau Cociancig, Frau Thom, was waren Ihre ersten Berührungspunkte mit dem Programmieren?

Cociancig: Als ich ca. acht Jahre alt war, hat mein Vater den ersten PC für zu Hause beschafft. Er hat ihn damals aus beruflichen Gründen gebraucht, meine Schwester und ich waren schnell fasziniert, auch wenn wir uns damals auf Messenger-Dienste und Suchmaschinen-Anfragen beschränkt haben. Erste Berührungspunkte mit dem Programmieren hatte ich erst viel später, und zwar im Masterstudium.

Thom: Meine ersten Programmiererfahrungen habe ich in meinem Medizintechnik-Studium gesammelt. Damals wurde ich direkt ins kalte Wasser geworfen, da ich aufgrund meines Studienbeginns im Sommersemester die Kurse nicht in der richtigen Reihenfolge belegen konnte. Das war eine Herausforderung, die dann am Ende aber sehr viel Spaß gemacht hat.

Wie hat sich daraus Ihr späterer Karriereweg ergeben?

Cociancig: Nach einem fachfremden Bachelorstudium und ersten Berufserfahrungen bin ich durch die Fördermöglichkeit der Bildungskarenz in Österreich zu dem Studium „Cognitive Science and Artificial Intelligence“ in den Niederlanden gekommen.

Die Kognitionswissenschaften sind im Laufe des Studiums dank der Flexibilität der Kurswahl auf der Strecke geblieben, denn KI fand ich spannender. Nach meinem Abschluss wusste ich, dass ich noch mehr Erfahrung benötige, bevor ich in diesem sich schnell wandelnden Bereich richtig Fuß fassen kann. Meine Tätigkeit in der JAAI Gr-oup bietet mir nun die Möglichkeit, meinen KI-Hintergrund in der Wirtschaft anzuwenden.

Thom: Im weiteren Verlauf meines Studiums habe ich mich für den Schwerpunkt Bild- und Datenanalyse entschieden und die Chance bekommen, als Werkstudentin bei adidas im IT-Innovationsteam zu arbeiten. Dort durfte ich Prototypen bauen und konnte somit das Wissen aus dem Studium in einem sehr spannenden Umfeld umsetzen. Nach meinem Studium wurde ich von adidas übernommen. Mit dem Umzug in die Nähe von Bremen habe ich dann nach einem innovativen Unternehmen im Bereich Computer Vision, Mustererkennung und Robotik gesucht und bin auf die JAAI gestoßen. 

Was begeistert Sie an Ihrer derzeitigen Arbeit am meisten?

Cociancig: Ich habe dank meines Arbeitgebers die Flexibilität, mich in Dinge einzuarbeiten, die mich interessieren. In der Vergangenheit war das zum Beispiel die Zertifizierung zur Datenschutzbeauftragten. So ändert sich der Inhalt meiner Arbeit auch öfter. Dass kein Tag dem anderen gleicht, ist gleichermaßen Fluch und Segen. Fluch ist, dass man sich ständig an neue Situationen anpassen muss, Segen ist, dass man an neuen Aufgaben wächst und es nie langweilig wird. Im Kontakt mit den Kundinnen und Kunden freue ich mich meistens mehr als alle anderen in der Runde, wenn sie nach der Vorstellung unseres Produkts sagen: „Wenn das ginge, was du da beschreibst, hey, das wäre cool!“ – und dann machen wir das. 

Thom: An meiner derzeitigen Arbeit begeistert mich das Themengebiet künstliche Intelligenz. Hier finde ich vor allem die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten und die Schnelllebigkeit sehr spannend. Außerdem gefällt mir neben dem technischen Teil der Austausch mit verschiedenen Teams und den Kundinnen und Kunden sehr gut.

"In einem männlichen dominierten Umfeld musste ich mich bereits früh daran gewöhnen, dass die Gesprächsführung anders sein kann und man lernen muss, sich auf seine Art durchzusetzen."

Beeke Thom

Wie nehmen Sie das Arbeiten in einem männlich dominierten Umfeld wahr?

Cociancig: In unserer Unternehmensgruppe habe ich schnell gelernt, dass Mikroaggressionen und diskriminierende Verhaltensweisen nicht toleriert werden. Ich finde gut, dass hier gegen solche Vorkommnisse vorgegangen wird und fühle mich daher im Team sehr wohl. Da unser Team bei der JAAI sehr offen und tolerant ist, sehe ich dieses Problem hier aber nicht.

Leider lassen sich unangenehme Situationen mit Kundinnen und Kunden manchmal nicht vermeiden, in denen man als Frau nicht ernst genommen wird. Das ist zwar in der Arbeitswelt fast überall so, aber vor allem in unserem Umfeld, da Frauen in der KI-Branche einfach nicht so sichtbar sind. Es ist frustrierend, wenn man seinen Platz am Tisch verteidigen muss. Zum Glück ist das aber eher die Ausnahme als die Regel. Außerdem engagiert sich JUST ADD AI, um Frauen mehr Sichtbarkeit im KI-Umfeld zu geben und ist einer der ersten Unterstützer von Women in AI & Robotics.

Thom: In einem männlichen dominierten Umfeld musste ich mich bereits früh daran gewöhnen, dass die Gesprächsführung anders sein kann und man lernen muss, sich auf seine Art durchzusetzen. 

Sie arbeiten beide in Teilzeit – wie muss Ihrer Meinung nach eine Unternehmenskultur gestaltet sein, die Teilzeitstellen ermöglicht und auch die Menschen darin fördert?

Cociancig: Ich arbeite in Teilzeit, weil ich derzeit parallel an der Universität Bremen promoviere. Dort beschäftige ich mich mit den Themen der KI-Ethik und KI-Regulierung. Das ist nur möglich, weil mir meine Arbeit flexible Arbeitszeiten und Homeoffice ermöglicht. Am wichtigsten dabei ist die offene Kommunikation darüber, wann ich verfügbar bin, wann ich flexibel bin und wann ich Zeit für die Uni brauche, weil ich ein Tutorium abhalten muss oder eine Deadline ansteht. Das bedarf auch an guter Selbstorganisation, Disziplin und Durchhaltevermögen, aber wäre mein Arbeitgeber nicht so liberal, wäre mein Spagat zwischen Wissenschaft und Wirtschaft nicht zu bewältigen. 

Thom: Eine Teilzeitbeschäftigung kann zu Nachteilen hinsichtlich der Entwicklungschancen führen. Bei uns bietet das Unternehmen aufgrund der flachen Hierarchien individuelle Entwicklungschancen, sodass ich trotz meiner Teilzeitbeschäftigung viele Möglichkeiten habe.  

Frau Cociancig, Sie machen gerade Ihren Doktor. Welche Fördermöglichkeiten helfen Ihrer Ansicht nach gerade Frauen in der IT, um sich persönlich weiterentwickeln zu können?

Cociancig: Ich hatte anfangs Schwierigkeiten mit dem Gedanken, mir ein Netzwerk aufzubauen und mich außerhalb meiner Arbeitszeiten zu engagieren und weiterzubilden. Heute weiß ich, dass ich ohne die Bekanntschaften und teilweise sogar Freundschaften nicht da wäre, wo ich bin. 

Mit dem Verein Women in AI & Robotics Germany habe ich Gleichgesinnte gefunden, Kontakte geknüpft und setze mich für die Sichtbarkeit von Frauen in unserem Umfeld ein. Durch meine Freiwilligenarbeit bei BREMEN.AI vor der Pandemie bin ich dann zu JUST ADD AI gekommen. Außerdem nutze ich sowohl bei lector.ai und an der Universität jede Möglichkeit, mich sinnvoll fortzubilden oder neue Skills zu lernen. Ich glaube das Geheimrezept ist „Ja“ zu sagen, wenn sich Möglichkeiten auftun, und sich an Vorbildern zu orientieren. 

Frau Thom, wie gestaltet sich Ihr Arbeitsalltag, welche Betreuungsmodelle nutzen Sie für Ihr Kind?

Thom: Warum werde ich eigentlich nicht gefragt, welche Fördermöglichkeiten Frauen mit Kindern helfen könnten, sich in der IT weiterzuentwickeln oder aufzusteigen? Gerade hier ist es wichtig, geeignete Modelle zu finden, damit der Frauenanteil auf allen Ebenen ausgeglichen ist. Aus meiner Sicht geht es zum einen um Flexibilität, aber auch Modelle der Arbeitsteilung sind in solchen Fällen sehr interessant. 

Ich arbeite 30 Stunden die Woche. Mein Kind geht in die Kita und die Großeltern unterstützen ebenfalls bei der Betreuung. Die Nachmittage, die ich mit meinem Kind verbringe, sind vorher festgelegt und meinen Kolleginnen und Kollegen bekannt. Die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, erleichtert meinen Arbeitsalltag sehr. Mir ist es aber trotzdem wichtig, ein bis zwei Tage pro Woche ins Büro zu gehen, um Kontakte zu pflegen. 

Wie sehen Sie Bremen als IT-Standort? Was hat Sie bewogen, nach Bremen zu kommen und hierzubleiben?

Cociancig: Nach dem Studium in den Niederlanden wollte ich aufgrund der Kontakte, die ich dort geknüpft hatte, im Norden bleiben. Bremen hat als Standort des DFKI für mich herausgestochen. Ich sehe Bremen eher als KI- denn als IT-Standort. Denn mit den Forschungsinstituten, den Universitäten und der KI-Wirtschaftslandschaft hat Bremen eine wirkliche Vorreiterposition. Bleiben werde ich, bis es hier für mich keine Möglichkeit mehr gibt zu wachsen und das wird noch eine Weile dauern.  

Thom: Bei mir waren es ehrlich gesagt die Heimat und Verwandtschaft, die meine Familie und mich dazu bewegt haben, zurück in die Nähe von Bremen zu ziehen. Umso mehr freue ich mich aber darüber, dass Bremen mit seinen vielfältigen KI-Angeboten ein sehr interessanter IT-Standort ist. Mir gefällt auch die Start-up-Mentalität Bremens sehr gut. 

Was würden Sie sich noch wünschen, um mehr Frauen für IT-Berufe zu begeistern?

Cociancig: Ich würde mir wünschen, dass der Ruf der Männerdomäne IT/KI verschwindet und auch mehr fachfremde Frauen, die sich für das Thema begeistern können, den Wechsel durchziehen. Um vertrauenswürdige, faire KI zu fördern und für echte Entscheidungsfindungen einzusetzen, benötigen wir diverse Teams, die sie entwickeln. 

Thom: Ich denke, es ist wichtig, die Ausbildung oder das Studium attraktiver für Frauen zu gestalten. Ein Trick, der mir bei der Frage immer direkt einfällt, ist die Bezeichnung des Studiengangs/der Ausbildung oder der Titel des Jobs. Aus meiner Erfahrung bewerben sich viel mehr Frauen (genauso wie ich) für den Studiengang Medizintechnik anstatt für die Studiengänge Informatik, Elektrotechnik oder Maschinenbau. Dabei bestand das Studium Medizintechnik in meinem Fall nahezu komplett aus den genannten drei Fachrichtungen. Für mich persönlich klang Medizintechnik damals besser, da ich direkt eine bessere Vorstellung der möglichen Berufsfelder hatte. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person 

Christina Cociancig 

Die 30-jährige ist KI-Consultant bei der JUST ADD AI-Ausgründung lector.ai. Zudem engagiert sie sich als Konzerndatenschutzbeauftragte der JAAI-Unternehmensgruppe. Als Consultant begleitet sie den Problemfindungsprozess, beantwortet Ausschreibungen für Projekte, ist Kommunikationsschnittstelle zu den Kundinnen und Kunden und entwickelt Produkte strategisch weiter. 

Beeke Thom 

Thom (32) ist technische Projektmanagerin bei JUST ADD AI. Sie übernimmt hier sowohl technische Aufgaben als auch die Koordination der Projekte und die Kommunikation zwischen den verschiedenen Teams und der Kundschaft. Zu ihren Aufgabengebieten zählt derzeit die Funktionserweiterung und Integration eines Conversational AI Systems in einer Drittsystemlandschaft.

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IT ist bisher männlich dominiert. Wie setzen sich Frauen dort durch? Und welche Unternehmenskultur ist für mehr Gendergerechtigkeit nötig? Im Gespräch mit den beiden KI-Expertinnen Christina Cociancig und Beeke Thom.

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 IT und „künstliche Intelligenz“ sind bisher männlich dominiert. Wie setzen sich Frauen dort durch? Und welche Unternehmenskultur ist für mehr Gendergerechtigkeit nötig? Im Gespräch mit den beiden KI-Expertinnen Christina Cociancig und Beeke Thom der Bremer Firmengruppe JUST ADD AI

Nur rund 19 Prozent aller IT-Fachkräfte sind weiblich. In der Branche herrscht also ein starkes Missverhältnis. Viele Initiativen arbeiten daran, die IT-Wirtschaft für Frauen attraktiver zu gestalten – in Bremen etwa die Plattform AVANJA und das Netzwerk F.IT Frauen in IT wie auch der Verein Women in AI & Robotics.

Helfen diese Ansätze? Wie muss eine Unternehmenskultur aufgestellt sein, die Frauen in IT-Feldern fördert? Und wie kommt man überhaupt in die KI-Branche? Im Gespräch mit Christina Cociancig, KI-Consultant und Datenschutzbeauftragte, sowie Beeke Thom, technische Projektmanagerin beim Bremer KI-Spezialisten JUST ADD AI (JAAI).

Frau Cociancig, Frau Thom, was waren Ihre ersten Berührungspunkte mit dem Programmieren?

Cociancig: Als ich ca. acht Jahre alt war, hat mein Vater den ersten PC für zu Hause beschafft. Er hat ihn damals aus beruflichen Gründen gebraucht, meine Schwester und ich waren schnell fasziniert, auch wenn wir uns damals auf Messenger-Dienste und Suchmaschinen-Anfragen beschränkt haben. Erste Berührungspunkte mit dem Programmieren hatte ich erst viel später, und zwar im Masterstudium.

Thom: Meine ersten Programmiererfahrungen habe ich in meinem Medizintechnik-Studium gesammelt. Damals wurde ich direkt ins kalte Wasser geworfen, da ich aufgrund meines Studienbeginns im Sommersemester die Kurse nicht in der richtigen Reihenfolge belegen konnte. Das war eine Herausforderung, die dann am Ende aber sehr viel Spaß gemacht hat.

Wie hat sich daraus Ihr späterer Karriereweg ergeben?

Cociancig: Nach einem fachfremden Bachelorstudium und ersten Berufserfahrungen bin ich durch die Fördermöglichkeit der Bildungskarenz in Österreich zu dem Studium „Cognitive Science and Artificial Intelligence“ in den Niederlanden gekommen.

 

Die Kognitionswissenschaften sind im Laufe des Studiums dank der Flexibilität der Kurswahl auf der Strecke geblieben, denn KI fand ich spannender. Nach meinem Abschluss wusste ich, dass ich noch mehr Erfahrung benötige, bevor ich in diesem sich schnell wandelnden Bereich richtig Fuß fassen kann. Meine Tätigkeit in der JAAI Group bietet mir nun die Möglichkeit, meinen KI-Hintergrund in der Wirtschaft anzuwenden.

Thom: Im weiteren Verlauf meines Studiums habe ich mich für den Schwerpunkt Bild- und Datenanalyse entschieden und die Chance bekommen, als Werkstudentin bei adidas im IT-Innovationsteam zu arbeiten. Dort durfte ich Prototypen bauen und konnte somit das Wissen aus dem Studium in einem sehr spannenden Umfeld umsetzen. Nach meinem Studium wurde ich von adidas übernommen. Mit dem Umzug in die Nähe von Bremen habe ich dann nach einem innovativen Unternehmen im Bereich Computer Vision, Mustererkennung und Robotik gesucht und bin auf die JAAI gestoßen.

Was begeistert Sie an Ihrer derzeitigen Arbeit am meisten?

Cociancig: Ich habe dank meines Arbeitgebers die Flexibilität, mich in Dinge einzuarbeiten, die mich interessieren. In der Vergangenheit war das zum Beispiel die Zertifizierung zur Datenschutzbeauftragten. So ändert sich der Inhalt meiner Arbeit auch öfter. Dass kein Tag dem anderen gleicht, ist gleichermaßen Fluch und Segen. Fluch ist, dass man sich ständig an neue Situationen anpassen muss, Segen ist, dass man an neuen Aufgaben wächst und es nie langweilig wird. Im Kontakt mit den Kundinnen und Kunden freue ich mich meistens mehr als alle anderen in der Runde, wenn sie nach der Vorstellung unseres Produkts sagen: „Wenn das ginge, was du da beschreibst, hey, das wäre cool!“ – und dann machen wir das.

Thom: An meiner derzeitigen Arbeit begeistert mich das Themengebiet künstliche Intelligenz. Hier finde ich vor allem die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten und die Schnelllebigkeit sehr spannend. Außerdem gefällt mir neben dem technischen Teil der Austausch mit verschiedenen Teams und den Kundinnen und Kunden sehr gut.

Wie nehmen Sie das Arbeiten in einem männlich dominierten Umfeld wahr?

Cociancig: In unserer Unternehmensgruppe habe ich schnell gelernt, dass Mikroaggressionen und diskriminierende Verhaltensweisen nicht toleriert werden. Ich finde gut, dass hier gegen solche Vorkommnisse vorgegangen wird und fühle mich daher im Team sehr wohl. Da unser Team bei der JAAI sehr offen und tolerant ist, sehe ich dieses Problem hier aber nicht.

Leider lassen sich unangenehme Situationen mit Kundinnen und Kunden manchmal nicht vermeiden, in denen man als Frau nicht ernst genommen wird. Das ist zwar in der Arbeitswelt fast überall so, aber vor allem in unserem Umfeld, da Frauen in der KI-Branche einfach nicht so sichtbar sind. Es ist frustrierend, wenn man seinen Platz am Tisch verteidigen muss. Zum Glück ist das aber eher die Ausnahme als die Regel. Außerdem engagiert sich JUST ADD AI, um Frauen mehr Sichtbarkeit im KI-Umfeld zu geben und ist einer der ersten Unterstützer von Women in AI & Robotics.

 

Thom: In einem männlichen dominierten Umfeld musste ich mich bereits früh daran gewöhnen, dass die Gesprächsführung anders sein kann und man lernen muss, sich auf seine Art durchzusetzen.

Sie arbeiten beide in Teilzeit – wie muss Ihrer Meinung nach eine Unternehmenskultur gestaltet sein, die Teilzeitstellen ermöglicht und auch die Menschen darin fördert?

Cociancig: Ich arbeite in Teilzeit, weil ich derzeit parallel an der Universität Bremen promoviere. Dort beschäftige ich mich mit den Themen der KI-Ethik und KI-Regulierung. Das ist nur möglich, weil mir meine Arbeit flexible Arbeitszeiten und Homeoffice ermöglicht. Am wichtigsten dabei ist die offene Kommunikation darüber, wann ich verfügbar bin, wann ich flexibel bin und wann ich Zeit für die Uni brauche, weil ich ein Tutorium abhalten muss oder eine Deadline ansteht. Das bedarf auch an guter Selbstorganisation, Disziplin und Durchhaltevermögen, aber wäre mein Arbeitgeber nicht so liberal, wäre mein Spagat zwischen Wissenschaft und Wirtschaft nicht zu bewältigen.

Thom: Eine Teilzeitbeschäftigung kann zu Nachteilen hinsichtlich der Entwicklungschancen führen. Bei uns bietet das Unternehmen aufgrund der flachen Hierarchien individuelle Entwicklungschancen, sodass ich trotz meiner Teilzeitbeschäftigung viele Möglichkeiten habe.

Frau Cociancig, Sie machen gerade Ihren Doktor. Welche Fördermöglichkeiten helfen Ihrer Ansicht nach gerade Frauen in der IT, um sich persönlich weiterentwickeln zu können?

Cociancig: Ich hatte anfangs Schwierigkeiten mit dem Gedanken, mir ein Netzwerk aufzubauen und mich außerhalb meiner Arbeitszeiten zu engagieren und weiterzubilden. Heute weiß ich, dass ich ohne die Bekanntschaften und teilweise sogar Freundschaften nicht da wäre, wo ich bin.

Mit dem Verein Women in AI & Robotics Germany habe ich Gleichgesinnte gefunden, Kontakte geknüpft und setze mich für die Sichtbarkeit von Frauen in unserem Umfeld ein. Durch meine Freiwilligenarbeit bei BREMEN.AI vor der Pandemie bin ich dann zu JUST ADD AI gekommen. Außerdem nutze ich sowohl bei lector.ai und an der Universität jede Möglichkeit, mich sinnvoll fortzubilden oder neue Skills zu lernen. Ich glaube das Geheimrezept ist „Ja“ zu sagen, wenn sich Möglichkeiten auftun, und sich an Vorbildern zu orientieren.

Frau Thom, wie gestaltet sich Ihr Arbeitsalltag, welche Betreuungsmodelle nutzen Sie für Ihr Kind?

Thom: Warum werde ich eigentlich nicht gefragt, welche Fördermöglichkeiten Frauen mit Kindern helfen könnten, sich in der IT weiterzuentwickeln oder aufzusteigen? Gerade hier ist es wichtig, geeignete Modelle zu finden, damit der Frauenanteil auf allen Ebenen ausgeglichen ist. Aus meiner Sicht geht es zum einen um Flexibilität, aber auch Modelle der Arbeitsteilung sind in solchen Fällen sehr interessant.

Ich arbeite 30 Stunden die Woche. Mein Kind geht in die Kita und die Großeltern unterstützen ebenfalls bei der Betreuung. Die Nachmittage, die ich mit meinem Kind verbringe, sind vorher festgelegt und meinen Kolleginnen und Kollegen bekannt. Die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, erleichtert meinen Arbeitsalltag sehr. Mir ist es aber trotzdem wichtig, ein bis zwei Tage pro Woche ins Büro zu gehen, um Kontakte zu pflegen.

Wie sehen Sie Bremen als IT-Standort? Was hat Sie bewogen, nach Bremen zu kommen und hierzubleiben?

Cociancig: Nach dem Studium in den Niederlanden wollte ich aufgrund der Kontakte, die ich dort geknüpft hatte, im Norden bleiben. Bremen hat als Standort des DFKI für mich herausgestochen. Ich sehe Bremen eher als KI- denn als IT-Standort. Denn mit den Forschungsinstituten, den Universitäten und der KI-Wirtschaftslandschaft hat Bremen eine wirkliche Vorreiterposition. Bleiben werde ich, bis es hier für mich keine Möglichkeit mehr gibt zu wachsen und das wird noch eine Weile dauern.

Thom: Bei mir waren es ehrlich gesagt die Heimat und Verwandtschaft, die meine Familie und mich dazu bewegt haben, zurück in die Nähe von Bremen zu ziehen. Umso mehr freue ich mich aber darüber, dass Bremen mit seinen vielfältigen KI-Angeboten ein sehr interessanter IT-Standort ist. Mir gefällt auch die Start-up-Mentalität Bremens sehr gut.

Was würden Sie sich noch wünschen, um mehr Frauen für IT-Berufe zu begeistern?

Cociancig: Ich würde mir wünschen, dass der Ruf der Männerdomäne IT/KI verschwindet und auch mehr fachfremde Frauen, die sich für das Thema begeistern können, den Wechsel durchziehen. Um vertrauenswürdige, faire KI zu fördern und für echte Entscheidungsfindungen einzusetzen, benötigen wir diverse Teams, die sie entwickeln.

Thom: Ich denke, es ist wichtig, die Ausbildung oder das Studium attraktiver für Frauen zu gestalten. Ein Trick, der mir bei der Frage immer direkt einfällt, ist die Bezeichnung des Studiengangs/der Ausbildung oder der Titel des Jobs. Aus meiner Erfahrung bewerben sich viel mehr Frauen (genauso wie ich) für den Studiengang Medizintechnik anstatt für die Studiengänge Informatik, Elektrotechnik oder Maschinenbau. Dabei bestand das Studium Medizintechnik in meinem Fall nahezu komplett aus den genannten drei Fachrichtungen. Für mich persönlich klang Medizintechnik damals besser, da ich direkt eine bessere Vorstellung der möglichen Berufsfelder hatte.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Zur Person

Christina Cociancig

Die 30-jährige ist KI-Consultant bei der JUST ADD AI-Ausgründung lector.ai. Zudem engagiert sie sich als Konzerndatenschutzbeauftragte der JAAI-Unternehmensgruppe. Als Consultant begleitet sie den Problemfindungsprozess, beantwortet Ausschreibungen für Projekte, ist Kommunikationsschnittstelle zu den Kundinnen und Kunden und entwickelt Produkte strategisch weiter.

Beeke Thom

Thom (32) ist technische Projektmanagerin bei JUST ADD AI. Sie übernimmt hier sowohl technische Aufgaben als auch die Koordination der Projekte und die Kommunikation zwischen den verschiedenen Teams und der Kundschaft. Zu ihren Aufgabengebieten zählt derzeit die Funktionserweiterung und Integration eines Conversational AI Systems in einer Drittsystemlandschaft.