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Leichte Sprache / Deutsche Gebärdensprache

Wie Bremens Zukunft heute entsteht – und alle mitmachen können

Dr. Gerd Meier zu Köcker vom Berliner Institut für Innovation und Technik, Urheber: Dr. Gerd Meier zu Köcker

Bremen ist Hochtechnologiestandort. Zahlreiche wissenschaftliche Institute und Unternehmen forschen an neuesten Technologien in der Robotik, Künstlichen Intelligenz oder erneuerbaren Energien. Bereiche, die in Zukunft immer wichtiger werden für unsere Gesellschaft.

Viele neue Technologien entstehen dabei dank Forschungsprojekten, die aus öffentlichen Geldern mitfinanziert werden, ob vom Land Bremen, dem Bund oder der Europäischen Union. Diese Gelder werden nach Richtlinien vergeben, welche mit sogenannten Innovationsstrategien vorbereitet werden.

Die Bremer Innovationsstrategien hatten bisher als Zieldatum 2020. Darum wird derzeit wird eine neue Strategie mit Blick auf das Jahr 2030 entwickelt. Dabei wird das Land Bremen von Dr. Gerd Meier zu Köcker und seinem Team vom Berliner Institut für Innovation und Technik unterstützt. Der gebürtige Bremer lebt heute in Stuttgart – und hat in den vergangenen Wochen seine Heimatstadt für seine derzeitige Aufgabe besucht und Zeit für ein Interview gefunden.

Herr Dr. Meier zu Köcker, Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Innovationsforschung. „Innovation“ begegnet einem heute überall. Jedes Unternehmen betont, wie innovativ es ist. Was ist für Sie Innovation?

Meier zu Köcker: Innovation heißt für mich, etwas Neues erfolgreich auf den Markt zu bringen. Das kann technologisch anspruchsvoll oder ganz einfach sein. Für einen Maschinenbauer ist Innovation etwas anderes als für ein Digitalunternehmen. Wichtig ist aber auch zu verstehen, dass aus unternehmerischer Sicht Innovation nicht immer positiv besetzt ist. Innovation ist auch unsicher und teuer.

Warum wir der Begriff heute so inflationär benutzt?

Als ich studiert habe, war Innovation immer mit dem Begriff Forschung und Entwicklung verbunden. Heutzutage kommen viele Innovationen auch ohne Forschung und Entwicklung aus – Beispiele wie Uber oder Google zeigen das. Man braucht die Forschung nicht mehr so stark wie früher. Der Begriff verändert sich somit auch über die Zeit hinweg und wird heute anders genutzt. Gleichzeitig hat sich aber auch gezeigt, dass Innovation mit Erfolg und Wettbewerbsfähigkeit gleichgesetzt wird. Sicherlich ein Grund, warum dieser Begriff so inflationär benutzt wird.
Sie reisen viel, betreuen politische Innovationsprozesse in vielen Ländern. In den letzten Monaten haben Sie sich mit Bremen beschäftigt. Wo sehen Sie Bremen und Bremerhavens Stärken? Was sind die Trends, die sich hier abzeichnen?

Beide Regionsteile sind innovativ in unterschiedlichen Schwerpunkten. Was in Bremerhaven beeindruckt, ist die Forschungsstärke im Bereich Windenergie und Maritime Wirtschaft. Was uns in Bremen hingegen sehr stark überrascht hat, ist die Forschungsstärke im Bereich Maschinenbau und Gesundheitswesen. Das Thema Mess- und Simulationstechnik hat sich in beiden Regionen als eine der führenden Schlüsseltechnologien zusammen mit Künstlicher Intelligenz, Robotik und Digitalisierung entwickelt. Das ist in anderen Regionen anders.

Positiv aufgefallen ist auch, dass sich die traditionellen Branchen gewandelt haben. Zum Beispiel die maritime Branche: Die Breite der Innovationen im maritimen Bereich sowohl von Forschungseinrichtungen als auch Unternehmen hat uns beeindruckt. Auch in anderen Sektoren wie Windenergie oder Luft- und Raumfahrt haben wir eine zunehmende Anzahl an sehr innovativen kleinen und mittleren Unternehmen. Diese können noch nicht vom Umsatz mit den Großen mithalten, überzeugen aber durch ihre Vielzahl. In der Nahrungs- und Genussmittelbranche haben sie etwa den Arbeitsplatzabbau durch die großen Konzerne in den vergangenen Jahren vollständig kompensiert.

Haben es die kleinen Unternehmen schwerer, Innovationen durchzusetzen?

Wenn wir in die Wirtschaftsnachrichten schauen, geht es meist um die großen: BMW; Mercedes oder anderen bauen zehntausende Stellen ab oder wieder auf. Die Kleinen werden leicht übersehen. In Bremen ist das nicht der Fall, hier achten Senat und Wirtschaftsförderung auf den Mittelstand. Und wenn die kleinen und mittleren Unternehmen mit den Konzernen zusammenarbeiten, steigen ihre Chancen noch weiter. Hier in Bremen geht man um die Ecke und findet gleich einen Partner, der auch internationales Niveau hat. Das geht in anderen Regionen nicht so einfach.

Sie betreuen mit Ihrem Institut den Prozess für die Innovationsstrategie 2030 der Bremer Politik. Warum braucht Bremen jetzt überhaupt eine neue Innovationsstrategie?

Einerseits wurden die zurzeit gültigen Strategien aus den Jahren 2010 mit Blick auf das Jahr 2020 entwickelt und sind somit nicht mehr aktuell. Zugleich startet 2021 eine neue Förderperiode der EU, die eine aktualisierte Strategie als Bewertungsgrundlage erfordert.

Ist das ein Prozess, der in anderen Regionen jetzt auch grad läuft?

Die sogenannte regionale Innovationsstrategie ist eine Bedingung für europäische Fördermittel. Dieser Prozess ist jetzt in allen Regionen gleich. Was mir in Bremen gut gefällt ist, dass es in der Innovationsstrategie nicht nur um EU-Gelder geht, sondern um grundsätzliche politische Richtungsstellungen für die Zukunft.

Wie sieht dieser Prozess ganz konkret aus?

Wir gestalten einen sehr partizipativen Prozess. Wir analysieren zunächst aus bestehenden Studien und Datenbanken, dann führen wir Dialoge mit Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik und erarbeiten anschließend gemeinsam mit allen die Innovationsstrategie. Das dauert rund ein Dreivierteljahr. Über den Prozess und Veranstaltungen informiert dabei die Seite bremen-innovativ.
Sie haben viele Daten aufgenommen. Die meisten davon vor Corona. Beeinflusst die Krise, wie Sie mit den Daten umgehen, die für die Strategie wichtig sind?

Auf der einen Seite verstärkt die Coronakrise interessanterweise viele Trends im Bereich der Innovation, zum Beispiel im Bereich KI, Robotik oder Digitalisierung. Hier wird sich das Tempo eher beschleunigen als verlangsamen oder umkehren. Im Bereich von Beschäftigungsdaten und demografischer Entwicklung müssen wir aber natürlich nachschärfen, wenn aktuellere Daten vorliegen.

Unsere Welt dreht sich immer schneller. Neue Technologien verbreiten sich rasant. Macht es da Sinn, eine Strategie für die nächsten zehn Jahre zu erarbeiten? Läuft sie nicht Gefahr, obsolet zu sein, sobald sie geschrieben wurde?

Um es vorweg zu nehmen: Wir müssen es. Einen Strategie gibt einen Rahmen vor, sie sagt nicht: Fördert das und das nicht. Aber sie muss auch Instrumente entwickeln, um sich selbst zu überprüfen und laufend anzupassen.

Was können das für Instrumente sein?

Sogenannte Foresight-Prozesse. Nichts ist schlimmer, als wenn wir einen Trend verschlafen, wie das in Deutschland ja bereits mehrfach passiert ist. Wir müssen daher Industrie- und Forschungskompetenz zusammenbringen. Zusammen können wir Trends erkennen und rechtzeitig agieren. Die Kunst dabei ist, zu wissen, ob man aufspringen soll oder nicht. Ein Beispiel: Wir reden heute viel über Wasserstoff, das war vor drei Jahren kein Thema. Aber wir wissen nicht, wie wir in fünf Jahren über Wasserstoff sprechen werden. Es ist daher wichtig, dass wir mit allen Akteuren im Dialog bleiben.

Stichwort Wasserstoff. Bremen ist Teil der norddeutschen Wasserstoffstrategie. Also eine Innovationsstrategie, die sich über mehrere Regionen zieht. Wie wichtig ist überregionale Zusammenarbeit bei Innovationsthemen?

Sehr wichtig, es gibt Bereiche, die kann man nur überregional oder national erfolgreich adressieren, nehmen Sie zum Beispiel die Elektromobilität. Da muss man bundesweit Strukturen aufbauen. Dabei sollte man aber auf die Region achten: Bremen hat ganz andere Stärken als Norddeutschland, als Hamburg. Wenn man jetzt also sagt, wir legen unsere Stärken nebeneinander und schauen, wer was kann, dann gehen wir den richtigen Weg.

Wie groß ist die Rolle, die eine Innovationsstrategie und damit -politik überhaupt einnehmen kann? Ist sie entscheidend dafür, welche Technologien entstehen oder nimmt sie nur eine kleine Rolle dabei ein?

Verglichen mit Forschungsbudgets von Großunternehmen sind regionale Fördergelder natürlich nur sehr kleine Summen. Aber die sollte man nicht unterschätzen. Bremen zum Beispiel hat heute eine extrem starke Forschungslandschaft mit internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Wo kommt das her? So etwas fällt ja nicht vom Himmel – es ist das Ergebnis einer Neuausrichtung der Wissenschafts- und Wirtschaftspolitik, die ihren Anfang in den 1980ern nahm. Nicht eine kurzfristige Innovationsstrategie wird den Unterschied machen, aber eine konsistente Verfolgung über viele Jahre hat in der Retrospektive sicherlich zum Erfolg des Standorts geführt.

Wenn Innovationen die Wirtschaft verändern, wirkt sich das auch auf die Beschäftigten aus. Berufe verschwinden, neue entstehen. Welche Herausforderungen und Veränderungen bergen die nächsten 10 Jahre in punkto Aus- und Weiterbildung sowie im alltäglichen Arbeitsleben (New Work/Home-Office) der Bremer Beschäftigten?

Ich erinnere mich gut an eine ähnliche Fragestellung vor 10 Jahren, als es um das Thema „Produktionssteigerung und Effiziente Industrieprozesse“ ging. Auch da waren viele ähnliche Sorgen hinsichtlich Arbeitsplatzverlust etc. artikuliert worden. Heute sehen wir, dass dieser Trend zu mehr und vor allem mehr hochwertigen Arbeitsplätzen geführt hat, auch in Bremen. Die Ausbildung muss mit dem Tempo der industriellen und wirtschaftlichen Veränderungen zukünftig besser mithalten können, was eine Herausforderung ist. Gleichzeitig wird sicherlich die betriebliche Aus- und Weiterbildung sowie Aspekte des „lebenslangen Lernens“ eine noch größere Rolle spielen. Es ist wichtig, diese Veränderungsprozesse mit den Sozialpartnern aktiv zu gestalten, so dass Mensch und Technik auf Augenhöhe bleiben. Da sehen wir in Bremen gute Beispiele in Form der Runden Tische und beim Thema Fachkräfteentwicklung. Für das alltägliche Arbeitsleben und die Bremer Beschäftigten heißt das, sich auf Veränderungen einzustellen und diese positiv anzunehmen. Ich glaube, die COVID-19-Krise hat gezeigt, dass es geht, vor allem dann, wenn die Rahmenbedingungen passen. Und hier kann die Bremer Innovationsstrategie einen Beitrag leisten

Social Entrepreneurship – sozial verträgliches Wirtschaften – stößt bundesweit auf Interesse bei jungen Gründerinnen und Gründern. Welches Potenzial haben Sozialunternehmen in Bremen, gesellschaftliche Entwicklungen voranzubringen?

Ich glaube das Potential ist insgesamt sehr groß, auch für den Standort Bremen. Zum einen haben unsere Untersuchungen gezeigt, dass Bremen im Bereich der Entwicklung wissensbasierter und unternehmensnaher Dienstleistungen sehr gut aufgestellt ist. Und diese sind in der Regel nicht rein technischer Art sondern eher nichttechnischer Natur, also oft auch sog. „soziale Innovationen“. Zum anderen sehen wir gerade in Branchen, wie Ernährung oder Gesundheitswirtschaft, viele sozial engagierte Unternehmen in Bremen. Mit dem sogenannten FoodHub schafft Bremen die notwendige innovations- und gründerfreundliche Infrastruktur. Ich glaube, die Notwendigkeit, sich den gesellschaftlichen Herausforderungen mehr zu widmen als bisher ist aktuell sehr groß, was sicherlich Rückenwind für das Thema Social Entrepreneurship bedeutet.

Sie haben ein mögliches Instrument der Strategie vorhin angesprochen, die Foresight-Prozesse. Welche anderen Instrumente könnten in Bremen sinnvoll sein?

Erstmal: Bestehende Instrumente könnten noch wirksamer genutzt werden. Bremen setzt seit Jahren erfolgreich auf Cluster. Da könnten wir diskutieren, wie wir die noch erfolgreicher gestalten. Neu hinzugekommen sind jetzt auch die Digihubs – die wir sinnvoll integrieren müssen. Was völlig neu entstehen könnte, sind Testfelder. Kann man zum Beispiel einen Teil des Hafens absperren für neue Technologie wie autonome Schiffe? Ich könnte mir vorstellen, dass das in Bremen eine Chance hat. Solche Testfelder sind einerseits für Unternehmen vor Ort interessant, aber sie können auch sehr attraktiv für Unternehmen von außerhalb sein.

Eine letzte Frage: Wenn Sie abseits ihrer Arbeit in Bremen sind, was genießen Sie hier an der Stadt?

Ich bin passionierter Angler. Als ich Ende Juli in Bremerhaven war, ging ich an einem wunderschönen Sommerabend am Deich. Und da haben Sie alles, wofür Bremen steht: Nette Leute, gutes Klima, das Meer, die Technologie und Unternehmen rund um den Containerhafen in Sichtweite, dafür steht Bremen für mich.

Herr Dr. Meier zu Köcker, vielen Dank für das Gespräch!

Autor: jann Raveling

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