Sie haben viele Daten aufgenommen. Die meisten davon vor Corona. Beeinflusst die Krise, wie Sie mit den Daten umgehen, die für die Strategie wichtig sind?
Auf der einen Seite verstärkt die Coronakrise interessanterweise viele Trends im Bereich der Innovation, zum Beispiel im Bereich KI, Robotik oder Digitalisierung. Hier wird sich das Tempo eher beschleunigen als verlangsamen oder umkehren. Im Bereich von Beschäftigungsdaten und demografischer Entwicklung müssen wir aber natürlich nachschärfen, wenn aktuellere Daten vorliegen.
Unsere Welt dreht sich immer schneller. Neue Technologien verbreiten sich rasant. Macht es da Sinn, eine Strategie für die nächsten zehn Jahre zu erarbeiten? Läuft sie nicht Gefahr, obsolet zu sein, sobald sie geschrieben wurde?
Um es vorweg zu nehmen: Wir müssen es. Einen Strategie gibt einen Rahmen vor, sie sagt nicht: Fördert das und das nicht. Aber sie muss auch Instrumente entwickeln, um sich selbst zu überprüfen und laufend anzupassen.
Was können das für Instrumente sein?
Sogenannte Foresight-Prozesse. Nichts ist schlimmer, als wenn wir einen Trend verschlafen, wie das in Deutschland ja bereits mehrfach passiert ist. Wir müssen daher Industrie- und Forschungskompetenz zusammenbringen. Zusammen können wir Trends erkennen und rechtzeitig agieren. Die Kunst dabei ist, zu wissen, ob man aufspringen soll oder nicht. Ein Beispiel: Wir reden heute viel über Wasserstoff, das war vor drei Jahren kein Thema. Aber wir wissen nicht, wie wir in fünf Jahren über Wasserstoff sprechen werden. Es ist daher wichtig, dass wir mit allen Akteuren im Dialog bleiben.
Stichwort Wasserstoff. Bremen ist Teil der norddeutschen Wasserstoffstrategie. Also eine Innovationsstrategie, die sich über mehrere Regionen zieht. Wie wichtig ist überregionale Zusammenarbeit bei Innovationsthemen?
Sehr wichtig, es gibt Bereiche, die kann man nur überregional oder national erfolgreich adressieren, nehmen Sie zum Beispiel die Elektromobilität. Da muss man bundesweit Strukturen aufbauen. Dabei sollte man aber auf die Region achten: Bremen hat ganz andere Stärken als Norddeutschland, als Hamburg. Wenn man jetzt also sagt, wir legen unsere Stärken nebeneinander und schauen, wer was kann, dann gehen wir den richtigen Weg.
Wie groß ist die Rolle, die eine Innovationsstrategie und damit -politik überhaupt einnehmen kann? Ist sie entscheidend dafür, welche Technologien entstehen oder nimmt sie nur eine kleine Rolle dabei ein?
Verglichen mit Forschungsbudgets von Großunternehmen sind regionale Fördergelder natürlich nur sehr kleine Summen. Aber die sollte man nicht unterschätzen. Bremen zum Beispiel hat heute eine extrem starke Forschungslandschaft mit internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Wo kommt das her? So etwas fällt ja nicht vom Himmel – es ist das Ergebnis einer Neuausrichtung der Wissenschafts- und Wirtschaftspolitik, die ihren Anfang in den 1980ern nahm. Nicht eine kurzfristige Innovationsstrategie wird den Unterschied machen, aber eine konsistente Verfolgung über viele Jahre hat in der Retrospektive sicherlich zum Erfolg des Standorts geführt.
Wenn Innovationen die Wirtschaft verändern, wirkt sich das auch auf die Beschäftigten aus. Berufe verschwinden, neue entstehen. Welche Herausforderungen und Veränderungen bergen die nächsten 10 Jahre in punkto Aus- und Weiterbildung sowie im alltäglichen Arbeitsleben (New Work/Home-Office) der Bremer Beschäftigten?
Ich erinnere mich gut an eine ähnliche Fragestellung vor 10 Jahren, als es um das Thema „Produktionssteigerung und Effiziente Industrieprozesse“ ging. Auch da waren viele ähnliche Sorgen hinsichtlich Arbeitsplatzverlust etc. artikuliert worden. Heute sehen wir, dass dieser Trend zu mehr und vor allem mehr hochwertigen Arbeitsplätzen geführt hat, auch in Bremen. Die Ausbildung muss mit dem Tempo der industriellen und wirtschaftlichen Veränderungen zukünftig besser mithalten können, was eine Herausforderung ist. Gleichzeitig wird sicherlich die betriebliche Aus- und Weiterbildung sowie Aspekte des „lebenslangen Lernens“ eine noch größere Rolle spielen. Es ist wichtig, diese Veränderungsprozesse mit den Sozialpartnern aktiv zu gestalten, so dass Mensch und Technik auf Augenhöhe bleiben. Da sehen wir in Bremen gute Beispiele in Form der Runden Tische und beim Thema Fachkräfteentwicklung. Für das alltägliche Arbeitsleben und die Bremer Beschäftigten heißt das, sich auf Veränderungen einzustellen und diese positiv anzunehmen. Ich glaube, die COVID-19-Krise hat gezeigt, dass es geht, vor allem dann, wenn die Rahmenbedingungen passen. Und hier kann die Bremer Innovationsstrategie einen Beitrag leisten
Social Entrepreneurship – sozial verträgliches Wirtschaften – stößt bundesweit auf Interesse bei jungen Gründerinnen und Gründern. Welches Potenzial haben Sozialunternehmen in Bremen, gesellschaftliche Entwicklungen voranzubringen?
Ich glaube das Potential ist insgesamt sehr groß, auch für den Standort Bremen. Zum einen haben unsere Untersuchungen gezeigt, dass Bremen im Bereich der Entwicklung wissensbasierter und unternehmensnaher Dienstleistungen sehr gut aufgestellt ist. Und diese sind in der Regel nicht rein technischer Art sondern eher nichttechnischer Natur, also oft auch sog. „soziale Innovationen“. Zum anderen sehen wir gerade in Branchen, wie Ernährung oder Gesundheitswirtschaft, viele sozial engagierte Unternehmen in Bremen. Mit dem sogenannten FoodHub schafft Bremen die notwendige innovations- und gründerfreundliche Infrastruktur. Ich glaube, die Notwendigkeit, sich den gesellschaftlichen Herausforderungen mehr zu widmen als bisher ist aktuell sehr groß, was sicherlich Rückenwind für das Thema Social Entrepreneurship bedeutet.
Sie haben ein mögliches Instrument der Strategie vorhin angesprochen, die Foresight-Prozesse. Welche anderen Instrumente könnten in Bremen sinnvoll sein?
Erstmal: Bestehende Instrumente könnten noch wirksamer genutzt werden. Bremen setzt seit Jahren erfolgreich auf Cluster. Da könnten wir diskutieren, wie wir die noch erfolgreicher gestalten. Neu hinzugekommen sind jetzt auch die Digihubs – die wir sinnvoll integrieren müssen.
Was völlig neu entstehen könnte, sind Testfelder. Kann man zum Beispiel einen Teil des Hafens absperren für neue Technologie wie autonome Schiffe? Ich könnte mir vorstellen, dass das in Bremen eine Chance hat. Solche Testfelder sind einerseits für Unternehmen vor Ort interessant, aber sie können auch sehr attraktiv für Unternehmen von außerhalb sein.
Eine letzte Frage: Wenn Sie abseits ihrer Arbeit in Bremen sind, was genießen Sie hier an der Stadt?
Ich bin passionierter Angler. Als ich Ende Juli in Bremerhaven war, ging ich an einem wunderschönen Sommerabend am Deich. Und da haben Sie alles, wofür Bremen steht: Nette Leute, gutes Klima, das Meer, die Technologie und Unternehmen rund um den Containerhafen in Sichtweite, dafür steht Bremen für mich.
Herr Dr. Meier zu Köcker, vielen Dank für das Gespräch!