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Mit feinstem Nebel in der Backstube einer ganzen Branche geholfen

Brötchen-Teiglinge in Bremerhaven: Mit Ultraschall Energie sparen, Bild: ttz

Brötchen-Teiglinge in Bremerhaven: Mit Ultraschall Energie sparen, Bild: ttz

von Wolfgang Heumer
Wenn in der Bäckerei feinster Nebel aufzieht, ist das durchaus gewollt. In der Gärkammer, in der Teiglinge heranreifen, legen sich winzige Wassertropfen um die Teiglinge. Das ist für die Qualität des Produktes - die nach dem Backen knusprige Kruste - erforderlich, kostet aber viel Energie und damit Geld. Denn für den Nebel muss das Wasser in klassischen Anlagen erst erhitzt, in Dampf verwandelt und in den Gärraum eingeblasen werden. Ein weiterer Nachteil: die Dampftemperaturen können durch äußere Einflüsse schwanken, im Ergebnis wird die Kruste dann mal mehr und mal weniger kross.

Eine neue Technologie aus Bremerhaven löst nicht nur das Problem der Qualitätsbandbreiten, sondern senkt auch noch die Kosten. „Bei unserem Verfahren erzeugen wir die wenige Nanometer großen Wassertropfen mit Hilfe von Ultraschall“, erläutert Markus von Bargen, Technischer Leiter des Technologie-Transfer-Zentrums (ttz) Bremerhaven, „das erfordert nur einen Bruchteil der bisher notwendigen Energie und erlaubt eine exakt gleichbleibende Dosierung des Nebels.“ Das „Bremerhavener Aerosol-Verfahren“ ist nur ein Beispiel von vielen, mit denen die Bremerhavener Technologie-Entwickler Innovationen in die Lebensmittelwirtschaft und andere Bereiche von Industrie, Gewerbe oder Handwerk bringen.

Neue Forschungsimpulse aus der Hochschule

Immer wieder neue Produkte, Komponenten, Verfahren und Zutaten zu entwickeln, ist für Unternehmen im nationalen und internationalen Wettbewerb unverzichtbar. Doch ausgerechnet für die Säule der deutschen Wirtschaft besteht in dem Innovationsdruck eine besondere Herausforderung. Während für industrielle Großbetriebe eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen selbstverständlich sind, „haben kleine und mittlere Unternehmen dafür häufig neben dem Alltagsgeschäft keine Kapazitäten“, weiß Jörg Rugen, der die kaufmännischen Aspekte des ttz Bremerhaven verantwortet. Das von einem Förderverein getragene Zentrum wurde vor mehr als 30 Jahren als Bindeglied zwischen der Hochschule Bremerhaven und der Wirtschaft gegründet.

Nicht zuletzt aufgrund der Nähe zur Hochschule bekommt das ttz Bremerhaven ständig neue Forschungsimpulse. Die rund 50 Ingenieure, Techniker und Wissenschaftler des Forschungsdienstleisters konzentrieren sich auf die Verknüpfung aktueller Erkenntnisse aus der Wissenschaft mit einem breiten, anwendungsbezogenen Expertenwissen von Praktikern der Lebensmitteltechnologie. Die daraus entstehenden Innovationsprojekte werden in den überwiegenden Fällen zusammen mit Unternehmen umgesetzt. Dabei versichern sich die ttz-Fachleute bei Bedarf der Unterstützung durch die Hochschule und andere wissenschaftliche Institutionen. Ihr Aktionskreis geht dabei weit über das Land Bremen und die Region hinaus: Seit Jahren gehört das ttz Bremerhaven zu den gefragtesten Kooperationspartnern im Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand des Bundeswirtschaftsministeriums.

„Wir beschäftigen uns mit der ganzen Bandbreite der Lebensmittelwirtschaft“

In den Anfangszeiten hat das ttz Bremerhaven in seinem Kern - dem Bremerhavener Institut für Lebensmitteltechnologie und Bioverfahrenstechnik BILB - durch den wissenschaftlichen Schwerpunkt dessen damaligen Leiters besondere Kompetenzen in der Entwicklung von Bäckereitechnologien entwickelt. Die Abläufe, Technologien und Verfahren in handwerklichen Backstuben, Backshops in Verbrauchermärkten und in Großbäckereien zu optimieren, zählt weiter zu den zentralen Themen des ttz Bremerhaven.

Aber: „Wir beschäftigen uns mit der gesamten Bandbreite der Lebensmittelwirtschaft, zu deren Zentren Bremerhaven ja gehört“, betont Jörg Rugen. Thematisch reicht das Spektrum von der Aquakultur über die Bioökonomie bis zur Verfahrenstechnik. Zu den Ziel- und Kundengruppen gehören sowohl einzelne Unternehmen vom Handwerker bis zum industriellen Großbetrieb. Der Forschungsdienstleister sucht dabei sowohl individuell für ein einzelnes Unternehmen als auch allgemein für einen ganzen Wirtschaftszweig nach innovativen Lösungen. Dabei ergeben sich durchaus branchenübergreifend Synergieeffekte: Das Prinzip der mit Ultraschall erzeugten Nano-Tröpfchen ist so zur Basis für ein neuartiges Kühlsystem für Fisch-Theken im Lebensmittelhandel sowie in der Gastronomie geworden. Dort senkt es den Energiebedarf bei der Kühlung von Frischfisch und verhindert zudem ein Austrocknen der empfindlichen Ware. In einer weiteren Anwendung dient es in der Tiefkühlindustrie dem schonenden Auftauen von Frostfisch.

Als Forschungsdienstleister in ein engmaschiges Netzwerk eingebunden

Bei ihren Entwicklungen lassen sich die ttz-Experten nicht allein von Anfragen und Themenstellungen aus der Wirtschaft leiten. An der Schnittstelle von Wirtschaft und Wissenschaft suchen sie kontinuierlich, wie neue technologische Entwicklungen nutzbringend für die Unternehmen in den Markt gebracht werden können. Genauso selbstverständlich läuft der Innovationsprozess in die andere Richtung: „Wir schauen auch darauf, welche neuen Technologien oder Verfahren erforderlich sind, um aktuelle oder künftige Herausforderungen für die Wirtschaft lösen zu können“, betont Markus von Bargen.

Der Forschungsdienstleister ist dabei in ein engmaschig geknüpftes Netzwerk eingebunden. Für technische Entwicklungen holen sich die Bremerhavener gezielt Unterstützung von Fachleuten anderer ingenieurwissenschaftlicher Einrichtungen wie beispielsweise den Automatisierungsexperten am Bremer Institut für Produktion und Logistik der Universität Bremen. Einen engen Kontakt hält das Technologie-Transferzentrum auch zum Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Die dabei entstehenden Projekte zeigen, welche ungewöhnliche Innovationskraft im ttz Bremerhaven steckt. Als die AWI-Grundlagenforscher entdeckten, wie sich Kieselalgen gegen die Kälte in den polaren Ozeanen schützen, erkannte das ttz-Team schnell das darin steckende Potenzial für die Lebensmittelindustrie. Die setzt - beispielsweise für die Sonntagsbrötchen - verstärkt auf tiefgefrorene Backwarenrohlinge. Beim Gefrieren der Teigwaren entstehen jedoch häufig im Produkt Eiskristalle, die die Qualität des späteren Produktes beeinträchtigen. Für die Lösung des Problems mischten die ttz-Entwickler so genannte Anti-Freeze-Proteine in den Teig, die die AWI-Wissenschaftler zuvor als natürlichen Frostschutz der Kieselalgen identifiziert hatten. „Es ist einfach hilfreich, wenn man in der Forschung und Entwicklung über den Tellerrand schauen kann“, sagt Jörg Rugen.

Sensoriktests unter wissenschaftlicher Begleitung

Regelmäßig blicken die ttz-Experten aber nicht nur über den Tellerrand, sondern direkt auf den Teller - oder genauer gesagt: sie lassen andere probieren, was sich auf dem Teller befindet. Zu den von Unternehmen besonders stark nachgefragten Bereichen des ttz Bremerhaven zählt das Sensoriklabor. Dort testen Verbraucher unter wissenschaftlicher Begleitung die sensorischen Eigenschaften - also Geschmack, Geruch oder Haptik - neuer Lebensmittel- oder Kosmetikprodukte, beurteilen die Verpackungsgestaltung und bewerten auch, ob ein vorgestelltes Produktkonzept wirklich innovativ ist.

Die Tests erfolgen anonymisiert, die Tester - zumeist sind es ganz normale Verbraucher, die sich um die Teilnahme beworben haben - erfahren weder den Namen des Herstellers noch des Produktes und bekommen auch keine Informationen, mit denen sie eventuelle Vergleichsprodukte im Test identifizieren könnten. „Unsere Kunden können deswegen sicher sein, eine unabhängige und objektive Beurteilung ihres Produktes zu erhalten“, betont Rugen.

Nicht alles, was die Bremerhavener in ihren Laboren und im eigenen Technikum entwickeln, können sie aber tatsächlich unter Praxisbedingungen testen. Zumindest gehört das Projekt dazu, in dem ein nicht krümelndes Brötchen entwickelt werden soll. Das Backverfahren soll eines Tages Astronauten auf dem Weg zum Mars oder auf einer Raumstation mit frischen Brötchen versorgen. Schwerelosigkeit gehört zu den wenigen Dingen, die die Technologieexperten aus Bremerhaven nicht erarbeiten können. „Aber zu den meisten anderen Dingen ist uns bisher immer eine innovative Idee gekommen“, sagt Jörg Rugen.

Veranstaltungstipp:


Das ttz veranstaltet im Juni 2019 in Bremerhaven ein Zukunftsforum zur Lebensmittelbranche: https://www.ttz-bremerhaven.de/de/medien/pressemitteilungen/2706-zukunftsforum-2019.html

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