Muss jedes Unternehmen jetzt Daten sammeln?
Becker: Viele Unternehmen haben bereits sehr wertvolle Datensätze, die sie bisher nicht nutzen konnten, die jetzt jedoch durch KI zugänglich werden: Texte, Bilder und Videos, sogenannte unstrukturierte Daten. Sie machen im Schnitt bis zu 80 Prozent aller vorhandenen Daten aus. Bisher konnten diese Daten nicht ausgewertet und für Analysen genutzt werden. Jetzt geht das.
KI hilft dabei, Muster zu erkennen, die man manuell gar nicht oder nur sehr schwer erkennen kann. Ich kann dann riesige Datenmengen automatisiert erkennen und verarbeiten, in einem Umfang und mit einer Geschwindigkeit, die mit Menschen gar nicht zu schaffen ist.
Wie schnell gibt die KI dann brauchbare Ergebnisse heraus?
Becker: KI lässt sich nicht einfach so einstöpseln und dann funktioniert schon alles. Man muss am Anfang einiges an Arbeit investieren, bevor man die Früchte eines solchen Projekts ernten kann, ein typischer Return-on-Investment liegt bei 6 bis 12 Monaten.
Wie und wann kommt dabei dein Unternehmen, JUST ADD AI, ins Spiel?
Becker: Wir helfen Unternehmen, den aktuellsten Stand der KI-Forschung zu verstehen und ihn produktiv einzusetzen. Dazu gehören auch klassische Machine Learning Systeme mit regelbasierten Ansätzen, wir fokussieren uns aber vor allem auf Deep Learning und ähnliche moderne und innovative Ansätze in der KI-Forschung, und kombinieren diese mit Kontext-Variablen und Sicherheitsregeln.
Das unterscheidet uns auch stark von den großen Anbietern wie Microsoft oder Amazon. Die sind durch die schiere Größe ihrer Installationen natürlich weniger flexibel und schnell, wenn es darum geht, neueste Erkenntnisse sofort in die Produktion umzusetzen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Datensicherheit. Bei den Systemen, die wir bauen, gehen keine Daten durch die Cloud oder gar nach Übersee, die Kunden behalten die volle Kontrolle über ihre Daten und die trainierten Modelle. Für das Training von sehr rechenintensiven Projekten mit sensiblen Daten haben wir eigene lokale GPU-Server ohne Internetverbindung. Wir arbeiten zum Beispiel auch für einige Krankenkassen, da ist der Datenschutz ein essentieller Teil der Lösung.
Kannst du uns ein paar Beispiele geben für Projekte von JAAI?
Becker: Zum einen gibt es da natürlich unser Fußball-Produkt JAAI Scout, das unter anderem von Werder eingesetzt wird. Sehr erfolgreich ist aber auch unser JAAI Agent, eine Open Source-basierende, intelligente Conversational-AI Lösung. Das ist ein System, an das ich Anfragen stellen kann, auf die ich in Dialogform Antworten erhalte. Die Anfragen können von Chat-Interfaces kommen, aber auch von Voice-Plattformen wie Alexa oder sogar von Telefonie-Anlagen. Unser System wertet dabei alle schon vorhandenen Daten aus, es nutzt den vorhandenen Kontext und ist dadurch weitaus intelligenter als alle Standard- Systeme. Es kann zum Beispiel auch auf völlig neue Dialoge sinnvoll reagieren und vor allem auch sehr einfach auf neue Themen trainiert werden.
Außerdem arbeiten wir im Bereich Computer Vision daran, Videos auszuwerten – zum Beispiel von Überwachungskameras. Hat sich nur ein Baum im Wind bewegt oder ist da eine Gestalt hinter den Busch gesprungen – wenn ein Mensch das beurteilen kann, dann können wir das auch mit KI automatisiert erfassen, selbst wenn die Kamera-Bilder unscharf und pixelig sind.
Künstliche Intelligenz und damit ausgestattete Roboter sehen sich immer wieder auch großer Skepsis gegenüber – erst kürzlich wurde bekannt, dass in Kalifornien autonome Google-Autos mit Steinen und Messern angegriffen wurden. Andere Stimmen warnen vor möglichen Jobverlusten durch Automatisierung. Wie stehst du zu dieser Diskussion?
Becker: Wir brauchen eine gesellschaftspolitische Debatte und auch die Ethik-Diskussion, aber sie sollten parallel zur KI Entwicklung verlaufen und sie pragmatisch begleiten statt sie zu blockieren. Man kann das gut am Beispiel des selbstfahrenden Autos verdeutlichen: Es ist unstrittig, dass bei selbstfahrenden Autos 95% der Unfälle gar nicht erst passieren, weil es ihre Ursachen schlichtweg nicht mehr gibt: Überhöhte Geschwindigkeit, zu wenig Abstand, Alkohol oder Drogen und Ablenkung durch das Handy. Trotzdem gibt es Leute, die vorher erstmal grundsätzlich klären wollen, wie sich das selbstfahrende Auto bei den noch verbleibenden 5% der Unfälle verhalten soll. Die verrennen sich dann oft in kaum lösbare Diskussionen darüber, welcher von zwei Menschen gerettet werden soll, wenn in einer bestimmten Situation nur einer überleben kann. Mit dieser Art von Diskussionen die Entwicklung aufzuhalten und währenddessen die vermeidbaren 95% der Unfälle weiter passieren zu lassen, halte ich für verantwortungslos.
Am wichtigsten ist es meiner Meinung nach, möglichst vielen Menschen ein grundlegendes Verständnis davon zu vermitteln, was KI ist und wie sie funktioniert. Dies versuchen wir zum Beispiel mit unserem Informationsportal http://jaai.de. Erst mit diesem Wissen kann eine sinnvolle gesellschaftliche Debatte zu den verschiedenen KI-Themen stattfinden.
Hinzu kommt, dass KI-Systeme immer von Menschen programmiert werden, und dass sie aus historischen Daten lernen. Dabei gibt es natürlich die Gefahr, dass wir als Menschen nicht in der Lage sind, Ziele korrekt vorzugeben, oder dass die historischen Daten z.B. diskriminierende Muster enthalten, die uns nicht bewusst sind. Dies führt dann dazu, dass die KI falsche Ziele verfolgt. Die KI kann für diese falschen Ziele nichts, ist aber wahnsinnig gut darin, sie zu erreichen. Es ist daher wichtig, diese Themen mit den Menschen, die KI-Systeme bauen, zu besprechen und Mechanismen einzubauen, die solche Effekte verhindern oder zumindest transparent machen.