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„Nur satt und lecker reicht nicht“: Einblicke in die Zukunft der Lebensmittelindustrie

Wie werden wir künftig essen und vor allem: was? Bild: pixabay

Bio und nachhaltig, proteinreich und pflanzenbasiert, mit Lieferservice oder als Event – was wir von unserem Essen erwarten, ändert sich. Darauf muss die Lebensmittelindustrie reagieren. Und mit neuen Playern umgehen.

In Bremen beschäftigt sich neben einzelnen Unternehmen auch die Branche als Ganzes mit den Trends: Etwa mit den New Work Co-Creation Labs, einem Online-Workshop, von dem der erste kurz vor Weihnachten stattfand und der zweite am 27. Januar 2021 beginnt.

Anlässlich dessen haben wir mit den beiden Teilnehmern Thomas Lieske vom Hanseatischen Chocoladen Kontor und Christian Holz von culicons gesprochen. Darüber, was Verbraucherinnen und Verbraucher von ihren Lebensmitteln erwarten und wie sich die Art und Weise unseres Nahrungsmittelkonsums in Zukunft grundsätzlich ändert.

Christian, Thomas, was sind aus eurer Sicht heute die drei wichtigsten Zukunftsthemen für die Nahrungs- und Genussmittelwirtschaft?

Christian Holz: Für mich ist es das Thema Innovation. Das müssen nicht unbedingt Dinge sein, die es vorher so noch nie gegeben hat, sondern vielleicht etwas, das andere, nur man selbst noch nicht verwendet. Außerdem das Thema Nachhaltigkeit. Es lässt sich beobachten, dass Marken, die das Thema Nachhaltigkeit nicht berücksichtigen, auf dem Markt ins Hintertreffen geraten. Das dritte Thema ist definitiv Digitalisierung. Von Produktion bis Kommunikation gibt es hier verschiedenste Facetten.

Thomas Lieske: Das Thema Nachhaltigkeit zählt auf allen Ebenen, nicht nur auf Produkt sondern auch auf Unternehmensebene. Getrieben durch die Verschiebung der Konsumgewohnheiten, was ja auch durch die aktuelle Pandemie deutlich Beschleunigung bekommt. Einen weiteren Aspekt, den ich noch ergänzen würde, ist der der rechtlichen Rahmenbedingungen. Gerade wenn es um Lebensmittelsicherheit geht, weil dort viel im Fluss ist. Dort nimmt die Geschwindigkeit der Veränderung zu.

Die Nahrungs- und Genussmittelindustrie muss aufhören, eine reine Versorgungsfunktion zu übernehmen. Sie muss zu einem gewissen Teil auch Status erfüllen.

Thomas Lieske

Wie stellt Ihr euch die Zukunft der Nahrungs- und Genussmittelwirtschaft vor?

Thomas Lieske: Die Nahrungs- und Genussmittelindustrie muss aufhören, eine reine Versorgungsfunktion zu übernehmen. Sie muss zu einem gewissen Teil auch Status erfüllen. Andere Industrien haben ihre Produkte vom rein funktionalen Gebrauchsgegenstand weg entwickelt. Die Menschen wollen wissen, wo das, was ich esse, herkommt und was drin ist. Wie beeinflusst das auch andere Wirtschaftsräume, die im globalen Zusammenhang mit mir stehen? Was für Zusatznutzen kann ich bieten? Ist das Produkt vegan, oder ist es eine Nahrungsergänzung, hat zum Beispiel besonders viele Proteine? Nur satt und lecker wird nicht reichen, es wird weitergehen.

Christian Holz: Ich würde mich da auch anschließen. Mehr Transparenz, nachvollziehbare Lieferketten. Generell ein größeres Augenmerk auf Themen wie Ethik, Moral, also Tierwohl und Arbeitsbedingungen. Ich glaube das wird in der Zukunft eine noch größere Rolle spielen.

Worum ist es für viele Unternehmen so schwer, sich die Zukunft vorzustellen? Warum aber so wichtig für das Handeln in der Gegenwart?

Thomas Lieske: Die Schwierigkeit für uns Menschen ist es ja, sich grundsätzlich etwas vorzustellen, das noch nicht da ist. Jetzt etwas einzuleiten, was möglicherweise gar nicht eintritt, dass die Projektion, die ich gemacht habe, falsch war, das stellt natürlich ein Risiko dar. Aber Risikobereitschaft ist wichtig für erfolgreiches unternehmerisches Handeln und dafür braucht es wiederum Freiräume. Das heißt, sich die Zeit zu nehmen und zu überlegen, so ist es heute, so kann es morgen aussehen und so wird es möglicherweise übermorgen aussehen.

Christian Holz: Einfach mal machen. Gerade die Corona-Krise war eigentlich ein Beispiel dafür, wie unterschiedlich Unternehmen reagieren. Von Schockstarre bis hin zur Entwicklung neuer Konzepte. Es gibt im Catering-Bereich beispielsweise Unternehmen, die neu gegründet haben, während die ganz Großen erstmal abgewartet haben, was ihre Kundschaft macht. Ich finde, man muss einfach mal häufiger darüber nachdenken, was man in zehn Jahren erreichen möchte, denn die Planungshorizonte im Lebensmittelbereich sind bisher häufig nicht so langfristig angelegt.

Dann legt mal vor: Wo werden wir in 10 Jahren einkaufen?

Thomas Lieske: Ich glaube es wird eine Zweiteilung geben, alles was Standardprodukte betrifft, wo es wiederkehrenden Bedarf gibt, wird sich noch mehr in die Bereiche E-Commerce und Digitalisierung begeben. Zum Beispiel über Abo-Services, sodass ich mich im Alltag um den Grundbedarf nicht mehr kümmern brauche. Es wird aber immer auch Märkte geben, wo physisch Ware angeboten wird. Künftig vermutlich auch mehr mit Direktverzehr vor Ort. Eine Kombination aus Supermarkt, Marktplatz und Gastronomie, die den Erlebnischarakter des Einkaufs betont.

Christian Holz: Es wird in die Richtung von Concept-Stores gehen. Es geht ja um Lebensmittel. Man muss die Möglichkeit haben zu riechen, zu schmecken, in Kombination auch mit Online-Konzepten. Eine engere Verschmelzung zwischen Handel und Gastronomie. Gerade in Corona-Zeiten kann man sehen, wie die Gastronomie auch mit Lebensmitteln handelt und unterschiedliche Verkaufsstrategien wählt, wie beispielsweise den Verkauf von Lebensmittelboxen. Ich denke, das wird in den nächsten Jahren noch mehr passieren.

Glaubt ihr auch die Art und Weise, wie wir in zehn Jahren Nahrungsmittel konsumieren, wird sich verändern?

Christian Holz: Ich glaube schon, dass sich der Trend auch nach Corona fortsetzt, dass wieder mehr gesnackt wird, dass man unterwegs isst und die Angebote der Gastronomie nutzt. 2019 war in der Gastronomie das erfolgreichste Jahr seit Jahrzehnten, was dann abrupt gestoppt wurde. Aber diese Snacking-Kultur, das wird sich fortsetzen. Hier sind auch weiterhin neue Konzepte gefragt.

Thomas Lieske: Ich glaube auch, dass der Out-Of-Home Verzehr wieder erstarken wird, aber der Fokus wird sich vor allem auf Gesundes und Nachhaltiges verschieben. McDonalds, um mal einen Namen zu nennen, wird Schwierigkeiten haben, während sowas wie Haferkater dann die bessere Alternative ist.

Wie kann die Industrie darauf reagieren? Welche Voraussetzungen braucht es für diese Momente des Lernens und der Kreativität im Berufsleben?

Thomas Lieske: Grundvoraussetzung ist und war immer ein Umfeld, das einen zu 100 Prozent unterstützt, eine gesunde Neugier, Spaß am Spiel und „einfach machen“. Ab einem gewissen Zeitpunkt muss man den Denk- und Planungsprozess tatsächlich beenden und ausprobieren. Wichtig dabei ist es bei Negativerlebnissen die richtigen Ableitungen zu treffen und weiter das Ziel im Auge zu behalten und die Unterstützung aus dem Umfeld zu bekommen.

Christian Holz: Ich habe mit meinem Schritt in die Selbstständigkeit gemerkt, dass durch die Tatsache, dass ich mittlerweile nur noch mit Leuten zu tun habe, die wirklich mit mir zusammenarbeiten wollen, ein Umfeld besteht, in dem ich wirklich etwas bewegen kann. Hierfür waren gerade auch meine Erfahrungen aus dem Mittelstand wichtig, wo diese Möglichkeiten nicht immer gegeben waren.

Viele Food-Start-ups haben sich in den vergangenen Jahren gegründet. Welche Chancen eröffnen sich wenn Traditionsunternehmen und Start-ups, größere und kleinere Unternehmen zusammenarbeiten?

Christian Holz: Ich denke, es ergeben sich Vorteile für beide Seiten. Das, was in einem Start-up eine Person machen muss, sind in einem großen Unternehmen manchmal vier bis fünf Abteilungen. Gerade im Food-Bereich geht es um spezielles Know-how, große Unternehmen haben hier Spezialisten, von denen gerade Start-ups lernen können. Auf der anderen Seite können die großen Unternehmen von der Unbedarftheit der Start-ups lernen. Dieser Austausch findet bereits statt, allerdings noch zu vereinzelt.

Thomas Lieske: Da kann ich mich nur anschließen. Wenn Offenheit und Vertrauen da ist, dass das große Unternehmen dem Start-up nicht nur die Idee klauen möchte, oder andersrum das Start-up nur Know-how abgreifen möchte, um als künftiger Wettbewerber auftreten zu können, kann ein solcher Austausch extrem fruchtbar sein. Der Mut Dinge umzusetzen, alte Abläufe zu hinterfragen, aber auch altbewährtes Wissen weiterzugeben, das kann aus solchen Zusammenarbeiten erwachsen.

Wenn ihr nun drei Wünsche frei hättet, was würdet ihr für Bremens Nahrungs- und Genussmittelwirtschaft sofort konkret einleiten und umsetzen?

Christian Holz: Ich spreche jetzt mal für die Bremer Start-ups. Wir arbeiten an der Idee eines Food Hubs, in Kooperation mit Edeka und der Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa, an dessen Umsetzung momentan bereits gearbeitet wird. Das soll es jungen Unternehmen erleichtern, mit Wissen und Produktionsmöglichkeiten in der Branche zu starten. Auch ganz wichtig sind Kooperationen zwischen etablierten Unternehmen und Start-ups, beispielsweise über den NaGeB-Verband oder auch individuelle Kontakte.

Thomas Lieske: Ich würde mir einen gemeinsamen Marktplatz wünschen. Zweigeteilt, also sowohl digital als auch physisch, wo dann die Bremer Nahrungs- und Genussmittelwirtschaft ihre Produkte anbieten kann und in einen Dialog mit den Endverbraucherinnen und -verbrauchern eintreten kann. Das Feedback von den Konsumenten zu bekommen, das halte ich für extrem wichtig.

Zweitens, was Christian auch sagte, die Kooperationen. Die Herausforderungen, die da sind, wird kein Unternehmen alleine lösen können. Auch der größte Konzern nicht. Wir haben hier eine starke Industrie am Standort und viel vorhandenes Know-How und sollten diesen Austausch zwischen den Unternehmen nutzen.

Vielen Dank für das Interview!

Über Christian Holz
Der Betriebswirt mit lebensmitteltechnologischem Background arbeitete im Marketing und Business Development von Konzernen wie Bestfoods (Knorr) und Kraft Foods (heute Mondelez). Nach einer Zwischenstation im Mittelstand gründete er 2013 sein Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen culicons in Bremen. Diese bietet Beratungsleistungen für Lebensmittelunternehmen mit einem Schwerpunkt auf den B2B-Bereich.
Über Thomas Lieske
Mit Stationen bei Ferrero, Mars und Storck war Lieske lange Zeit im Vertrieb und Marketing von großen Nahrungsmittelkonzernen tätig. Im Mittelstand baute er die „Krossen Kerle“, eine Kartoffelchipsmarke für Kartoffelbauern in Norddeutschland auf. Heute ist er Geschäftsführer des Hanseatischen Chocoladen Kontor GmbH & Co.KG.
Text: Ben Endlich

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