Wolf Krämer / Caroline Zambiasi, Europaabteilung
Einleitung
Die Opfer von Straftaten müssen jederzeit Zugang zu Unterstützung und Schutz haben. Dieser Meinung ist auch die Europäische Kommission, die am 24. Juni 2020 erstmals eine „EU-Strategie für die Rechte von Opfern (2020 – 2025)“ vorlegte. Insbesondere der besorgniserregende Anstieg der häuslichen Gewalttaten während der COVID-19-Pandemie zeigt, dass es an der Zeit ist, weitere Anstrengungen zu unternehmen, um die Rechte der Opfer von Straftaten auch in Krisensituationen zu gewährleisten.
Für die kommenden fünf Jahre kündigt die Kommission deshalb viele Maßnahmen an, die sie selbst ergreifen möchte. Zudem empfiehlt sie den Mitgliedstaaten und Interessensgruppen tätig zu werden, um eine bessere Anwendung der EU-Vorschriften für Opferrechte in der Praxis sicherzustellen. Was die EU in Opferrechtsfragen schon erreicht hat und in Zukunft noch vorhat, soll hier kurz erklärt werden.
Zugang zu Informationen, Unterstützung und Schutz, sowie psychosoziale Prozessbegleitung – die Geschichte der Opferrechte in der EU
Bereits 2012 hat die Europäische Union Vorgaben zur Unterstützung der Opfer von Straftaten beschlossen. Die Richtlinie über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten (Opferschutzrichtlinie) umfasst das Recht auf Zugang zu Informationen, das Recht auf Unterstützung und Schutz in Abhängigkeit der individuellen Bedürfnisse der Opfer, sowie eine Reihe von Verfahrensrechten. Insbesondere die psychosoziale Prozessbegleitung der Opfer von Straftaten erhielt mit der Opferschutzrichtlinie einen wichtigen Stellenwert. Künftig sollen besonders schutzbedürftige Opfer die Möglichkeit haben, vor, während und nach der Hauptverhandlung professionell begleitet zu werden. Nicht zuletzt Kinder und Jugendliche, die Opfer schwerer Sexual- oder Gewaltdelikte wurden, erhielten fortan einen Rechtsanspruch auf kostenlose psychosoziale Prozessbegleitung. Für grenzüberschreitende Straftaten hingegen soll die Richtlinie über die Europäische Schutzanordnung sicherstellen, dass eine in einem Mitgliedstaat angeordnete Schutzmaßnahme für ein Opfer auch in einem anderen Mitgliedstaat gilt, sodass der gewährte Schutz an jedem Ort innerhalb der EU aufrechterhalten und fortgesetzt werden kann. Darüber hinaus hat sich die Europäische Union vertiefend mit den besonderen Bedürfnissen der schutzbedürftigen Opfer einzelner Straftaten befasst und entsprechende Regelungen eingeführt, welche wichtige Akzente setzen, um europaweite Mindeststandards zu schaffen. Dazu zählen unter anderem die Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandelns, die Richtlinie zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern, die Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung und die Richtlinie zur Entschädigung der Opfer von Straftaten. Zusätzlich bietet das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt – auch Übereinkommen von Istanbul oder Istanbul-Konvention genannt – einen völkerrechtlichen Rahmen, dessen verbindliche Rechtsnormen als erweiterte Grundlage der EU-Rechtsvorschriften zum Opferschutz dienen sollen. Dieses Übereinkommen wurde bereits von der Europäischen Union unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Damit es gelingt, auf europäischer Ebene einheitliche Schutzstandards zu schaffen, ist es wichtig, dass möglichst alle 46 Mitgliedstaaten des Europarates dem Übereinkommen beitreten. Mit Deutschland haben insgesamt 21 EU-Mitgliedstaaten die Istanbul-Konvention unterschrieben und ratifiziert. Bislang fehlen noch Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Litauen, Lettland sowie die Slowakei. Zudem plant Polen den Austritt.
Die EU-Strategie für die Rechte von Opfern 2020 – 2025
Die nun vorgelegte Strategie für die Rechte von Opfern bildet den Rahmen für die Arbeit der Europäischen Kommission auf dem Gebiet des Opferschutzes. Sie beruht auf einem zweigliedrigen Ansatz: die Stärkung der Opfer von Straftaten und die gemeinsame Förderung der Rechte der Opfer. Die rechtlich unverbindliche Strategie erläutert hierfür zum einen die nächsten Schritte, die die Kommission unternehmen will. Sie ruft allerdings zum anderen auch die Mitgliedstaaten, Interessengruppen und allgemein die Zivilgesellschaft zum Tätigwerden auf. Dabei widmet sie den spezifischen Bedürfnissen der Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt besondere Aufmerksamkeit und legt die politischen Ziele und die wichtigsten Maßnahmen für den Zeitraum 2020-2025 fest. Der Fokus der Strategie liegt insbesondere auf der besseren Umsetzung und Anwendung der gesetzlich verankerten Opferrechte (insbesondere der Opferschutzrichtlinie). Opfern von Straftaten soll dabei eine hohe Qualität an Schutz und Zugang zu Informationen zu ihren Rechten geboten werden. Sie sollen dazu ermutigt werden, Straftaten anzuzeigen und an den Strafverfahren teilzunehmen, um Entschädigung zu erwirken und sich schlussendlich von den Folgen der Straftaten erholen zu können. Es gilt vor allem, geeignete Strukturen zu etablieren, die den Schutz in Abhängigkeit der individuellen Bedürfnisse sicherstellen. Des Weiteren müssen alle Kontaktstellen der Opfer geschult werden und die Rechte der Opfer im vollen Umfang im Bewusstsein haben.
Welche Maßnahmen hält die Kommission im Einzelnen für sinnvoll und welche Opfergruppen stehen besonders im Fokus der EU-Strategie für die Rechte von Opfern (2020 – 2025)?
Wolf Krämer
Die Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa
Landesvertretung Brüssel
T +32 2 282 00 77
wolf.kraemer@europa.bremen.de