16.4.2020 - Wolfgang Heumer

Wenn die Bratwurst wie Butter zergeht

Wirtschaftsförderung
Kleine Häppchen auf einer Schieferplatte
Die Produkte der biozoon sollen ein Stück Lebensqualität wieder herstellen. © biozoon

Am Anfang war es ein Spielzeug für die Spitzengastronomie. Als Matthias Kück mit einigen Wissenschaftlern und Lebensmitteltechnologen die heutige biozoon food innovations gmbh in Bremerhaven gründete, galt sein Interesse der Molekular-Küche.

Vor knapp zwei Jahrzehnten war es in den Sterne-Restaurants en vogue, Gerichten und Getränken ein neues Gesicht zu geben. Biozoon entwickelte die notwendigen Zutaten, so genannte Texturgeber, mit deren Hilfe sich Form und Konsistenz der Gerichte verändern lassen.

„Gemüse zu Schaum aufgelöst und Würfeln geformt, Cocktails, die man sich als Kugel auf der Zunge zergehen lassen konnte - das war unsere Welt“, erinnert sich Kück. Das damals ultimative Geschmackserlebnis ist längst kulinarische Geschichte. Das in ihr steckende Prinzip ist jedoch lebensmitteltechnologische Zukunft: „Mit unseren Zutaten lassen sich Gerichte kreieren, die aussehen wie normales Essen, aber ohne zu kauen zwischen Zunge und Gaumen  zergehen“, fasst es der Firmeninhaber zusammen.

Das ist kein gastronomischer Schnickschnack, sondern beispielsweise für schwerkranke und pflegebedürftige Menschen ein kaum zu ermessender Zugewinn an Lebensqualität: „Statt mit irgendwelchem Brei gefüttert zu werden, können Menschen mit starken Kau- oder Schluckbeschwerden wieder Essen zu sich nehmen, das diesen Namen auch verdient“, betont Kück. Rindsroulade mit Rotkohl und Kartoffel sieht aus und schmeckt wie das Original, zergeht aber ohne zu kauen zwischen Gaumen und Zunge.

Bratwürstchen mit geschmackvollem Aha-Effekt

Matthias Kück ist ein pragmatisch denkender Mensch. Deswegen erzählt er nicht nur über seine Entwicklung, sondern lädt fix zur Verkostung. Im Handumdrehen holt er ein paar Bratwürstchen aus der Tiefkühltruhe. Gebräunte Haut und darunter durchscheinend das helle Brät mit winzigen Gewürzeinschlüssen - so sehen die Rohlinge aus, die Kück für weniger als eine Minute in die Mikrowelle legt. Der Duft frischer Bratwurst zieht durch das Entwicklungslabor; auch beim Anschnitt mit dem Messer hat die Wurst fast die Konsistenz des Originals.Doch kaum ist der Bissen im Mund, folgt der Aha-Effekt. Leicht mit der Zunge gegen den Daumen gedrückt, schmilzt das Stück Wurst dahin - mit dem vollen Geschmack des Originals. Das Ganze ist keine Hexerei, sondern Lebensmitteltechnologie: „Wir haben einen Texturgeber entwickelt, mit dessen Hilfe zuvor pürierte Nahrungsmittel wieder in Form gebracht werden können und auch den ursprünglichen Geschmack behalten“, erläutert Kück.

Pürierte Nahrungsmittel werden mit einem Texturgeber in Form gebracht un behalten ihren ursprünglichen Geschmack.
Bei der Herstellung bringt die biozoon Wissen aus der Molekular-Küche zum Einsatz. © biozoon

Eine Pulver-Mischung mit erstaunlichen Fähigkeiten

Wenn Menschen aus Altersgründen oder wegen massiver Gesundheitsprobleme nicht mehr kauen und schlucken können, ist zumeist pürierte Nahrung die einzige für sie verfügbare Alternative. Was über Geschmack und Optik zu sagen wäre, ist im Deutschen in dem Begriff „Einheitsbrei“ zusammengefasst. „Alte Menschen und Patienten verlieren bei dieser Ernährung ganz viel ihrer Würde“, ist Matthias Kück überzeugt. In manchen Heimen wird zwar zeitweilig zur Abwechslung vom Brei geformte Nahrung angeboten. Doch bei näherem Hinsehen ist die nicht wirklich besser: „Ganz häufig besteht sie lediglich aus Eierstich, dem durch Zusatzstoffe eine Art Geschmack gegeben wird“, weiß Kück.

Bereits vor zehn Jahren war er sich mit dem Küchenmeister Herbert Thill - dem „Papst“ der Heimküche in Deutschland - einig: „Es muss auch anders gehen.“ Das Wissen aus der molekularen Küche half Kück entscheidend weiter: „Aus den dort erprobten Texturgebern konnten wir eine Mischung mit erstaunlichen Fähigkeiten zusammenstellen“, berichtet er. Das Pulver ist in seiner Anwendung geschmacksneutral, die damit angerichteten Speisen behalten ihre Konsistenz - weder lösen sie sich auf noch verdicken sie zu einem unverdaulichen Klumpen. Und auch im Mund zerschmelzen sie so langsam, dass sich Aromen und Geschmacksstoffe voll entfalten können.

Klassisch gekocht und technologisch aufbereitet

Das Prinzip der angepassten molekulare Küche ist einfach: das Grundgericht  wie beispielsweise die Rindsroulade mit Kartoffeln und Rotkohl - wird zunächst ganz klassisch gekocht. Anschließend püriert die Küche jede einzelne Zutat, verdickt sie mit dem Texturgeber und füllt sie in Formen, die dem Ursprungsgericht entsprechend. „Im Endeffekt entsteht fast der gleiche optische Eindruck auf dem Teller, man kann es schneiden - aber man muss es nicht kauen“, erläutert Kück. Das veränderte Produkt enthält bis zu 70 Prozent des Originals; der Rest besteht aus Texturgeber und die durch ihn gebundene Flüssigkeit. „Man kann diese Gerichte entweder sofort servieren oder mitsamt der Form tiefgekühlt lagern“, sagt Kück.

Ideal für den Einsatz in Großküchen von Seniorenheimen und Krankenhäusern

Ideal ist diese Anwendung für den Einsatz in Alten- und Pflegeheimen sowie in Krankenhäusern. „Für die Küche ist es nur ein bisschen mehr Aufwand als das normale Kochen“, weiß Kück. Die gleichen Gerichte, die auch auf der Tageskarte stehen, können auch für die Produktion des „smoothfood“ genutzt werden. „Im Grunde entsteht Mehrarbeit nur durch das Pürieren und in die Form füllen“, betont der Unternehmer. Der Einheitsbrei muss dagegen extra hergestellt werden, trotz des Mehraufwandes bleibt er zumeist geschmacksarm und wenig appetitlich. Dass die Masse dennoch nicht von den Speiseplänen in Altenheimen und Krankenhäusern verschwindet, ist unter anderem eine Frage der jahrzehntelangen Gewohnheit. „Man muss die Küchenchefs immer noch persönlich davon überzeugen, dass unser Produkt nicht nur optische sondern vor allem auch praktische Vorteile hat und die Arbeit in den Küchen letztlich sogar vereinfachen.“

Biozoon liefert die passende, pulverförmige Grundsubstanz nicht nur für die warmen Mahlzeiten: „Wir haben auch einen Texturgeber entwickelt, mit dem sich Obstsäfte und andere Flüssigkeiten verdicken lassen und diese Konsistenz dauerhaft halten“, berichtet Kück. Bei der Betreuung von bettlägerigen Patienten ist gerade die Versorgung mit Flüssigkeit eine Herausforderung - ohne Verdickung sind Saft, Wasser oder Tee kaum zu verabreichen; mit herkömmlichen Verdickungsmittel verwandeln sich Getränke jedoch schnell in eine feste Masse.

Die Zentrale von biozoon von außen
Hier produziert die biozoon ihre leckeren Speisen der etwas anderen Art. © biozoon

Große Nachfrage, aber kurzzeitige Einbußen durch die Corona-Krise

Die Nachfrage ist so groß, dass Biozoon inzwischen 25 Beschäftigte zählt. Das Gründerzentrum, in dem die Erfolgsgeschichte begann, hat Kück längst verlassen und mit Unterstützung der BIS Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbH und der https://www.bab-bremen.de/ ein eigenes Firmengebäude im Bremerhavener Fischereihafen gebaut. Eine Investition, die durch das Landesinvestitionsförderprogramm (LIP) möglich wurde. Mit dem Programm werden insbesondere kleine und mittlere Unternehmen aus dem Land Bremen bei Investitionen in bauliche Maßnahmen, Maschinen und Einrichtung mit einem zinsvergünstigten Förderdarlehen und auch mit einem Zuschuss gefördert.

Aber auch an Biozoon geht die Corona-Krise nicht spurlos vorüber. „Wir haben derzeit Umsatzeinbußen von bis zu 50 Prozent, die Nachfrage durch die Gastronomie ist weggefallen und Krankenhäuser und Altersheime haben derzeit andere Prioritäten“, führt Kück aus. Dabei bleibt er jedoch optimistisch: „Ich bin zuversichtlich, dass sich die Nachfrage in den kommenden drei Monaten stabilisiert und wir dann weiter volldurchstarten können.“

Neben der inländischen Nachfrage muss er auch im für ihn wichtigen Exportmarkt derzeit mit Einbußen leben. „Wir exportierten bis zur Coronakrise viel nach Österreich, Norwegen oder Dänemark. Dort ist der Kostendruck in den Altenheimen und Krankenhäusern offenbar nicht so extrem wie in Deutschland“, weiß Kück. Auch hier blickt er optimistisch in die Zukunft und ist sich sicher, dass die Auslandsnachfrage wieder anziehen wird: „Schließlich geht es darum, Menschen mit ohnehin sehr starken Einschränkungen wenigstens die Würde beim Essen wieder zugeben.“

Wenn Sie Fragen rund um das Landesinvestitionsprogramm (LIP) haben, wenden Sie sich gern an Stephan Limberg, Projektleiter Fördergeschäft, T +49 (0) 421 9600-479, stephan.limberg@bab-bremen.de.

Darüber hinaus können wir Sie als Förderbank des Landes Bremen mit einer Vielzahl von öffentlichen Krediten, Beteiligungen und Bürgschaften bei der Gründung, Erweiterung, Neuausrichtung oder auch Stabilisierung Ihres Unternehmens unterstützen. Einen Überblick über die Wirtschaftsförderung finden Sie hier.

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