10.1.2020 - Nina Svensson

Entscheiden unter Druck: Rote Karte oder einfach ignorieren?

Starthaus Beratung
Bibiana Steinhaus bei der Eröffnungsveranstaltung der Gründungswoche 2019 in Bremen © Jan Radtke

Entscheiden unter Druck: Rote Karte oder einfach ignorieren?

Bibiana Steinhaus ist die erste Schiedsrichterin der Fußball-Bundesliga und trifft pro Spiel rund 300 Entscheidungen. Nicht alle sind richtig, aber jede einzelne bringt sie weiter. Auch wenn das ungefilterte Feedback von Spielern und Zuschauern schon sehr besonders sein kann. Dies lässt sich auch auf eine Gründungssituation übertragen.

Egal ob richtig oder falsch: Fast jede Entscheidung eines Schiedsrichters auf dem Fußballplatz löst eine Reaktion aus, manchmal hat Bibiana Steinhaus dann gefühlt ein ganzes Stadion gegen sich. Die 40-Jährige aus Hannover ist jedoch überzeugt, dass jeder Fehler eine Chance zum Lernen bietet. Das ist eine ihrer vielen Erfahrungen, über die sie Mitte November 2019 bei der Starthaus-Veranstaltung “Under Pressure – Was Start-ups und Unternehmen von der 1. weiblichen Bundesliga-Schiedsrichterin lernen” sprach.

Während ihres Vortrags übertrug sie ihre Erfahrungen zur Motivation, zum Durchsetzen als Frau in einer Männerdomäne, Scheitern, Entscheiden unter (Öffentlichkeits)-Druck und Reflektieren von Entscheidung auf eine Gründungssitutation und stellte die Parallelen zu Gründer und Gründerinnen und Unternehmer und Unternehmerinnen heraus. Anschließend erzählte sie im Interview, wie sehr sie für ihr Ziel gekämpft hat und wie sie sich in ihrer Vorreiterrolle als erste weibliche Bundesliga-Schiedsrichterin sieht.

War es eigentlich schon immer Ihr Ziel, Schiedsrichterin in der Fußball-Bundesliga zu werden?

Bibiana Steinhaus: Nein, in die Rolle der Schiedsrichterin bin ich eher reingerutscht. Ich habe als Jugendliche Fußball gespielt und mit 16 meine Schiedsrichterprüfung bestanden. Dann habe ich die ersten Spiele geleitet und mich im Laufe der Zeit für höhere Ligen empfohlen. Jedes Spiel ist eine Herausforderung, und es ist ein tolles Gefühl, den Platz in dem Wissen zu verlassen, dass es gut gelaufen ist und ich zu einem guten Spiel beigetragen habe. Seit 1999 bin ich DFB-Schiedsrichterin und irgendwann hat sich mein Ziel herauskristallisiert: Samstag, Anpfiff 15.30 Uhr, Bundesliga.

Sie mussten lange darauf warten, bis Sie 2017 die erste weibliche Bundesliga-Schiedsrichterin wurden. Wie haben Sie sich motiviert, nach den Absagen des DFB weiter für Ihr Ziel zu kämpfen?

Ich habe zehn Jahre in der 2. Bundesliga Spiele geleitet. Das war eine großartige Zeit und so sehr ich auch jedes Spiel genossen habe: mein Ziel war die Bundesliga. 2016 habe ich mir gesagt: Jetzt richtest du noch einmal alles auf das Ziel Bundesliga aus. Eine Saison lang habe ich mich immer gefragt: Bringt mich das, was ich gerade tue, der Bundesliga näher? Zum Beispiel: Einfach laufen gehen nein, aber Intervallläufe machen ja. Dabei haben mich ganz viele Menschen aus meinem Umfeld unterstützt und motiviert, sind mit mir morgens um 6 Uhr um den Maschsee in Hannover gelaufen. Dann kam tatsächlich die Nominierung zur Bundesliga-Schiedsrichterin. Darauf bin ich sehr stolz, aber für mich war der Prozess ebenso wichtig wie das Ergebnis. Ich habe sehr hart gearbeitet, und ich hätte mir nichts vorwerfen können, wenn es nicht geklappt hätte.

Bibiana Steinhaus hat sich intensiv auf ihren Einsatz in der Fußball-Bundesliga vorbereitet. © Jan Rathke

Wie sind Sie bei Ihren Schiedsrichter-Lehrgängen und Prüfungen für den DFB als einzige Frau zurechtgekommen?

Niemand wird als Bundesliga-Schiedsrichter geboren. Der Weg dorthin ist lang und von vielen Lehrgängen, Fortbildungen und Prüfungen gespickt. Gerade zu Beginn meiner Tätigkeit war ich bemüht, im Kreis der Kollegen nicht aufzufallen, habe sportliche Kleidung und kurze Haare getragen. Bis ich irgendwann akzeptiert habe, dass „unsichtbar sein“ nicht funktioniert. Ich bin eine Frau – das ist meine Stärke und zudem ein großer Wiederkennungswert, den ich nicht verstecken muss. Diese Erkenntnis hat gedauert, aber seitdem gibt sie mir Kraft.

Im September 2017 haben Sie in Berlin beim Spiel Hertha BSC gegen Werder Bremen als erste Frau ein Spiel der Fußball-Bundesliga der Männer geleitet. Wie haben Sie das erlebt?

Mit ganz viel Gänsehaut. Der Moment, auf den ich so lange hingearbeitet habe, war nun endlich gekommen. Aber es war auch ein Riesendruck, nicht nur für mich, sondern auch für alle Beteiligten, die mir ihr Vertrauen geschenkt hatten. Da stand nicht nur meine Reputation auf dem Spiel, sondern auch die der Frauen, die diesen Weg zukünftig noch gehen wollen. Das Spiel wurde zudem live in 142 Länder übertragen. Ich war nervös und aufgeregt. Aber mein Physiotherapeut hat mir die Anspannung genommen. Unter seiner Anleitung habe ich vor Anpfiff Atemübungen durchgeführt. Danach war alle Nervosität verschwunden, und ich war bereit für das Spiel.

Forschungen haben ergeben, dass jeder Mensch täglich rund 20.000 Entscheidungen. Wie viele treffen Sie während eines Fußballspiels?

In 90 Minuten treffe ich rund 300 kleine und große Entscheidungen auf dem Fußballfeld, die mehr oder weniger Einfluss auf den Spielverlauf und auf den Ausgang des Spiels haben. Daran werden wir Schiedsrichter gemessen. Ich konzentriere mich voll und ganz auf jede Situation, egal ob die Frage Einwurf, Strafstoß oder Feldverweis im Raum steht. Für mich ist auch nicht relevant, welche Mannschaften gegeneinander spielen – für mich spielt nur rot gegen weiß oder gelb gegen blau.

In einem Fußballspiel trifft Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus rund 300 Entscheidungen. © Jan Rathke

Wie ist es, vor zehntausenden Zuschauern und laufenden Kameras Entscheidungen zu treffen?

Jede Entscheidung ist eine Herausforderung, und ich entscheide nach bestem Wissen und Gewissen. Natürlich ist es besonders, wenn man als Schiedsrichter unmittelbar und ungefiltert Feedback für seine Entscheidungen sowohl von den Spielern als auch von den Zuschauern erhält.

Seit drei Jahren gibt es den Videobeweis. Was hat sich dadurch für Sie als Schiedsrichter verändert?

Wir Schiedsrichter entscheiden auf dem Feld so, als würde es den Videoassistenten gar nicht geben. Der Videoassistent ist wie der Airbag im Auto. Man hofft, ihn niemals beanspruchen zu müssen, ist aber froh, wenn er im Notfall da ist und schlimmeren Schaden abwendet. In spielentscheidenden Situationen und einer möglichen klaren Fehlentscheidung durch das Schiedsrichterteam meldet sich nun der Kollege aus dem Video Operation Center – auch bekannt als der Kölner Keller – und sagt sinngemäß: „Stopp, betrachte die Situation bitte noch mal aus einem anderen Blickwinkel.“ Es ist wichtig bereit zu sein, sich beraten zu lassen und die Situation tatsächlich noch einmal ganz neu zu bewerten. Wenn ich meine Entscheidung nach dem Hinweis durch den Videoassistenten revidiere, dann weiß jeder Zuschauer, dass meine ursprüngliche Entscheidung nicht richtig war. Ich bin ein positiver Mensch und sehe Fehler als Chance, in dem ich sie mir merke und in künftige Entscheidungen mit einbeziehe. Allerdings tut es auch weh, wenn man Fehler macht und auch das muss man aushalten können.

Ein positiver Mensch, der seine Fehler als Chance begreift. © Jan Rathke

Wie gehen Sie damit um, dass Sie jetzt immer diesen Stempel haben, die erste Schiedsrichterin der Fußball-Bundesliga gewesen zu sein?

Es erfüllt mich mit Stolz – aber ich wünsche mir, dass ich nicht die einzige bleibe. Mit einer Frau als Schiedsrichterin in der ersten Bundesliga hat Deutschland vor zwei Jahren tatsächlich weltweit eine Vorreiterrolle übernommen. Andere Länder ziehen jetzt nach.

Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, dass es normal wird, auch Frauen in verantwortungsvollen Rollen sowohl im Fußball als auch in unserer Gesellschaft zu sehen. Diese Entwicklung möchte ich gerne begleiten und gestalten. Fußball ist für mich ein Spiegel der Gesellschaft. Wir können für eine diverse Gesellschaft werben. Wir können Werte leben und Haltung zeigen. Das ist Herausforderung, aber auch Verantwortung.

Wie lässt sich ihre Funktion als Schiedsrichterin mit ihrem Beruf als Polizeibeamtin vereinbaren?

Tatsächlich sind beide Berufe in ihrem Anforderungsprofil sehr ähnlich. Als Polizeibeamtin und Schiedsrichterin arbeite ich exekutiv: Mir begegnen zumeist Personen oder Gruppen, die nicht einer Meinung sind. Im besten Fall kann ich eine Situation moderieren, manchmal muss ich aber auch Konsequenzen umsetzen.

Sie haben Ihr großes Ziel erreicht – wie geht es weiter?

Ich bin stolz, dankbar und glücklich, in der Situation zu sein, in der ich jetzt bin. Mein großes Ziel war, ein Bundesligaspiel zu leiten. Das durfte ich tun. Jedes Spiel ist eine große Herausforderung: Ich habe einen hohen Anspruch an mich selbst und es ist mein Ziel, diesem Anspruch bei jedem Spiel wieder gerecht zu werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

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